„Hassrede“ oder: Die Kriminalisierung der Gefühlswelt

16.10.2017, amazing discoveries, Johannes Kolletzki

Wenn jeder Drucker nur das drucken würde, was ganz sicher für niemanden anstößig sein wird, gäbe es ziemlich wenig zu lesen. (Benjamin Franklin)

Der Begriff wurde vor ein paar Jahren eingeführt, inzwischen hat sein Gebrauch in der Öffentlichkeit inflationäre Ausmaße angenommen: Es geht um die „Hassrede“. Dass damit nichts Gutes gemeint ist, spürt der Hörer intuitiv. Aber was „Hassrede“ eigentlich ist, weiß niemand so genau. Sprachwissenschaftler und politische Institutionen bemühen sich zwar um Definitionen, doch der Begriff bleibt vage und nicht klar abgrenzbar.

Versuchen wir einmal eine Standortbestimmung. Mittlerweile hat der Begriff eine so gründliche Prägung erhalten, dass die meisten Menschen ihn spontan mit Szenen verbinden wie:

  • Schimpftiraden und persönliche Beleidigungen gegen einen Einzelnen;
  • Schmähungen ganzer Gruppen aufgrund ihrer Rasse, Religion, Überzeugungen etc.;
  • ein heulender Teenager mit Suizidgedanken, weil die Mitschüler ihn mobben;
  • ein Islamisten-Prediger, der zur Tötung von „Ungläubigen“ aufruft.

Allerdings existieren solche Probleme nicht erst seit dem Internet, weswegen es auch seit Jahrzehnten bewährte Gesetze gibt, die derartige Verstöße benennen und regeln – etwa gegen „Verleumdung“, „üble Nachrede“, „Diffamierung“, „Volksverhetzung“ usw. Warum also dieser neue Sammelbegriff der „Hassrede“? Und was ist eigentlich neu daran? Schauen wir genauer hin.

Das Neue an der „Hassrede“

Das Neue ist, dass „Hass“ nicht eine Tat beschreibt, sondern ein Gefühl, eine innere Haltung. Eine „Rede“ lässt sich je nach Inhalt recht klar als legal oder illegal einordnen. Doch der Begriff „Hassrede“ geht weiter: Er beansprucht, das Motiv zu kennen, warum jemand dieses oder jenes gesagt hat – nämlich aus Hass gegen jemand oder gegen etwas. Das ist neu. Und das ist sehr eigenartig, denn seit wann kann ein Mensch dem anderen ins Herz schauen? Wer kann denn wissen, ob ich jemand anders kritisiere, weil ich ihn hasse und niedermachen will oder weil ich ihn liebe und ihm die Chance auf Veränderung geben will? Hasst ein Klavierlehrer seinen Schüler, weil er ihn auf Spielfehler hinweist, oder ist nicht genau das seine Aufgabe, damit der Schüler vorankommen und sich verbessern kann? Natürlich ist das seine Aufgabe. Hasst ein Arzt seinen Patienten, wenn er ihm sagt, dass er Krebs hat, oder ist es nur fair, ihn auch mit einer schlimmen Wahrheit zu konfrontieren? Es ist absolut fair, denn sonst hätte der Kranke keine Chance, das Ruder noch herumzureißen und Heilung zu finden.

All das macht klar, dass kein Mensch von außen beurteilen kann, warum jemand etwas sagt oder tut. Alles, was einen anderen unangenehm berühren könnte, pauschal als „hassmotiviert“ abzuurteilen, wäre ein ziemlich plumper Abwehrreflex und würde weit an unserer komplexen Lebensrealität vorbeigehen (siehe das Eingangszitat von Benjamin Franklin). Zumal der Begriff „Hassrede“ wörtlich genommen nicht mehr sein kann als eine Unterstellung, da niemand wissen kann, ob der Betreffende aus Hass geredet hat oder nicht. (Randnotiz: Ähnliches geschieht durch Wortschöpfungen wie „Islamophobie“, „Homophobie“ und sonstige „…phobien“, die pauschal unterstellen, Opposition sei lediglich das Resultat irrationaler Ängste.)

Wenn „Hassrede“ eigentlich etwas unterstellt, was niemand überprüfen kann, wieso wird der Begriff dann ständig von Medien und Politikern bemüht? Warum spricht man von der Gefühlswelt des anderen, statt sich auf das zu beschränken, was er real sagt oder tut? Weshalb benutzt man nicht einen objektiven Ausdruck wie „illegale Rede“, sondern einen subjektiven und emotional geladenen wie „Hassrede“?

Mit der „Hassrede“ hat sich eine unglückliche Vermischung eines sachlichen Tatbestandes wie einer „Rede“ mit einem nicht greifbaren Element wie „Hass“ in der Öffentlichkeit etabliert. Und das bringt Probleme mit sich. Denn während eine „Rede“ kriminell sein kann, ist „Hass“ grundsätzlich nicht illegal – auch wenn sich das erst einmal ungewohnt anhören mag.

Ich möchte das erklären. Ein Staat kann Hass genauso wenig verbieten, wie er Liebe befehlen kann. Es ist zwar moralisch verwerflich, seinen Nachbarn zu hassen, aber nicht strafbar. Erst wenn der Hass zu bestimmten Worten oder Taten führt, kann es zu Gesetzesverstößen kommen, die der Staat dann – und nicht vorher – zu Recht ahndet. Deswegen spricht unser Rechtssystem von Straftaten, nicht von Strafgefühlen. Was ein Mensch fühlt, ist Teil seiner Moral und Religion, für die er sich allein vor Gott zu verantworten hat. Gott ist der Einzige, der das Innere einer Person wirklich beurteilen kann und darf. Das ist Sein souveränes Vorrecht, in das ein Staat nicht eingreifen darf. Dies ist nichts anderes als das altbewährte und in praktisch allen Demokratien der Welt verankerte Prinzip der Trennung von Kirche und Staat.

Was kommt nach dem Hass?

Nehmen wir ein praktisches Beispiel für die Probleme, die entstehen, wenn dieses Prinzip aufgeweicht wird und man Objektives (Worte und Taten) mit Subjektivem (Gefühle und Motive) vermischt. Das jüngst verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz des deutschen Justizministers hat das erklärte Ziel, gegen illegale Inhalte im Web vorzugehen. Der Begriff „Hassrede“ kommt im Gesetzestext nicht vor, insofern ist die Verordnung objektiv und sachlich. Andererseits wird das Gesetz in der Öffentlichkeit ständig mit „Hassrede“ assoziiert und erhebt den Anspruch, ebendiese zu bekämpfen. Damit wird die Verordnung mit einer Aura des Subjektiven und Emotionalen umgeben, die sich durch ständige Wiederholung so auch in den Köpfen der Bevölkerung festsetzt. Exemplarisch für viele andere sei hier der Spiegel zitiert: „Das Gesetz soll helfen, der Hassrede in sozialen Netzwerken … Herr zu werden.“

Auch wenn das Gesetz selbst es nicht so formuliert, bleibt doch am Ende die Aussage stehen: Es ist ein Gesetz gegen Hassrede oder – nur ein kleiner Gedankenschritt weiter – gegen Hass. Und wenn es ein Gesetz gegen Hass gibt, was ist dann Hass automatisch? Illegal. Das ist das Fazit in der öffentlichen, wenn auch sicher oft unterschwelligen Wahrnehmung. Und damit wird ein gefährliches Tor aufgestoßen: Ein Gefühl wird als kriminell erklärt – nicht direkt mit Worten, sondern durch ständige Assoziation: „Hass und Gewalt“, „Hass und Terror“, „Hass und Hetze“ …

Diese Tendenz ist nicht auf Deutschland beschränkt. Die Europäische Kommission legte Ende September 2017 eine Orientierungshilfe vor, wie Online-Plattformen besser gegen „illegale Inhalte, die zu Hass, Gewalt und Terrorismus aufstacheln“ vorgehen können. Dass „Gewalt und Terrorismus“ Straftaten sind, zu denen man nicht auffordern darf, ist klar. Aber warum wird im selben Atemzug „Hass“ genannt? Ist es wirklich Aufgabe des Gesetzgebers, gegen Hass zu kämpfen? Und wenn ja, warum bekämpfen wir dann nicht auch die Ungeduld, die zu Raserei auf den Straßen führt und jedes Jahr Menschenleben kostet? Und wenn wir schon dabei sind, verbieten wir auch gleich Habgier und Profitsucht, denn die führen zu furchtbaren Verbrechen der Reichen gegen die Armen mit Millionen Opfern. Und wo hören wir auf …?

Ein gefährlicher Irrweg

Nein, dies ist ein Irrweg. Wir müssen seine ersten Symptome erkennen, wollen wir nicht eines Tages vor dem Scherbenhaufen unserer persönlichen Freiheiten stehen, besonders unserer religiösen Freiheit. Und sage niemand, es sei doch nur ein Wort! Worte und Begriffe haben eine unglaubliche Macht, das Denken und Handeln ganzer Gesellschaften zu verändern. Das ist eine geschichtlich immer wieder demonstrierte Wahrheit.

Jesus machte in der Bergpredigt deutlich, dass schon der Ärger über den Nächsten eine Übertretung des Gebotes „Du sollst nicht töten“ ist. Das gibt aber keiner Regierung das Recht, Ärger zu einer kriminellen Handlung zu erklären oder praktisch mit Mord gleichzusetzen, indem beide ständig in einem Atemzug erwähnt werden: „Ärger und Mord“, „Ärger und Mord“. Hier geht es um zwei Bereiche, die Gott getrennt hat und die getrennt bleiben müssen. Christus brachte es mit den wunderbar weisen Worten auf den Punkt: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Matthäus 22,21)

Zum Schluss eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die schlechte. Was wir heute in seinen zarten Anfängen beobachten können, dass nämlich die staatliche Gewalt die Grenze zum Religiösen überschreitet und damit auf ein Gebiet vordringt, das Gott sich selbst vorbehalten hat, wird in den letzten Tagen der Weltgeschichte einen Höhepunkt finden. In der Offenbarung wird beschrieben, wie alle Länder der Erde Gesetze erlassen werden, die weltweit eine bestimmte Form religiöser Anbetung diktieren.

Und nun die gute Nachricht: Gott wird diesen Eingriff in seine Souveränität nicht lange dulden. Seine Gerichte werden die Schuldigen treffen, und Gottes verfolgte Kinder werden befreit.

[Neufassung vom 9. November 2017]


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