Die 50-Dollar-Story

Nachdem meine Frau, unsere drei kleinen Mädchen und ich einige schöne Jahre in Kalifornien verlebt hatten, wurden wir ins Missionsfeld gerufen. Ich sollte dort in verantwortlicher Position die ärztliche Versorgung weiter ausbauen. Zuerst ging es für drei bis vier Jahre nach Neuguinea. Dann sandte uns die Generalkonferenz nach Australien, wo es auch ein großes Missionsgebiet gab. Es war damals üblich, dass man nach etwa sieben Jahren Dienst in der Mission neun Monate Heimaturlaub bekam.

Der Urlaub naht

Ein Jahr, bevor wir unseren neunmonatigen Urlaub antreten sollten, begann ich unter Gebet mit den Vorbereitungen. Wir suchten in den USA ein ruhiges Plätzchen zum Wohnen. Außerdem sollte es in der Nähe Weiterbildungsmöglichkeiten für mich geben und eine Stelle, wo ich gutes Geld verdienen konnte, war doch die Entlohnung im Missionsfeld sehr bescheiden. Ich schrieb in dieser Angelegenheit meinem Freund, der an der Universität von Kalifornien arbeitete. Er versicherte mir in seinem Antwortschreiben, er hätte eine interessante und gut bezahlte Forschungstätigkeit für mich parat. Ich sollte mich sofort nach meiner Ankunft in den USA mit ihm in Verbindung setzen. Das schien mir eine Gebetserhörung zu sein!

Dann kam der Tag, an dem wir von Sydney aus nach San Franzisko aufbrachen. Voller Zuversicht sahen wir in die Zukunft. Unsere Schiffsreise dauerte 31 Tage. Ich fand die Überfahrt unerträglich lang, aber meine Frau und unsere drei Mädchen genossen die sorglose Zeit an Bord.

Eine Hiobsbotschaft

Endlich in Kalifornien angekommen, rief ich sofort meinen Freund an und besprach mit ihm etliche Details. Ich sollte mich am ersten Arbeitstag, ehe ich aus dem Haus ging, noch einmal bei ihm melden. Alles schien gut zu laufen. Aber Gott hatte einen anderen Plan für mich. Manchmal geht eben auch das, was wir bestens vorbereitet haben, schief, damit Gott seine Absichten mit uns verwirklichen kann. Als ich mich wie vereinbart am Morgen des ersten Arbeitstages bei meinem Freund meldete, hatte er eine Hiobsbotschaft für mich. Kurz nach unserem letzten Gespräch, so erklärte er mir bestürzt, sei eine Klage gegen die Universität bekannt geworden. Die Universität habe darauf einen zweimonatigen Einstellungsstopp verhängt, der natürlich auch mich betraf. Mein Freund versuchte wortreich, mich auf die Zeit danach zu vertrösten; dann könnte ich den in Aussicht gestellten Forschungsauftrag sicher bekommen. Aber momentan wäre nichts zu machen.

Ich verstand, war aber zutiefst enttäuscht. Wir einigten uns zum Schluss darauf, dass ich in zwei Monaten wieder Kontakt mit ihm aufnehmen würde, falls ich bis dahin keine andere Arbeit gefunden hätte. Zur Sicherheit gab ich ihm noch unsere momentane Adresse und private Telefonnummer.

Auf Jobsuche

Nun musste ich mich nach einer anderen Verdienstmöglichkeit umsehen. Ich dachte mir, es wäre sicher nicht schlecht, es in Sacramento, der Hauptstadt von Kalifornien zu versuchen. Dort fragte ich den erstbesten Passanten, wo man hier Arbeit finden könne. Er zeigte auf ein Gebäude und meinte, ich solle es da drüben im kalifornischen Arbeitsamt versuchen. Das tat ich dann auch gleich. Man schickte mich zu einer Dame, die für die Stellenvermittlung zuständig war. Sie zeigte mir Wandregale mit vielen, vielen dicken Ordnern, die über 10 000 offene Stellen enthielten. Das riesige Angebot beinhaltete alle nur denkbaren Tätigkeiten, von der einfachsten bis zur hochqualifizierten.

Ich nahm einige Ordner heraus und blätterte zahlreiche Anzeigen durch. Drei von ihnen erregten besonders meine Aufmerksamkeit. Am interessantesten klang das folgende Stellenangebot: „Gouverneur von Kalifornien sucht Sonderberater für Gesundheitswesen“. Es handelte sich bei diesem Gouverneur um Ronald Reagan, den späteren Präsidenten der USA. Als ich überlegte, ob diese Stelle ernsthaft für mich in Frage kommen könnte, kamen mir Zweifel: „Was könnte ich dem Gouverneur schon raten? Dieses Stellenangebot ist in allen großen amerikanischen Zeitungen abgedruckt worden, und bestimmt werden sich sehr viele Leute bewerben. Hätte ich da überhaupt eine Chance?“ Doch irgendwie ließ mich das Angebot nicht mehr los. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr setzte sich der Gedanke in mir fest, dass ich Ronald Reagan tatsächlich gerne bestimmte Dinge raten würde! Denn hatten nicht gerade wir Adventisten viele gute Gesundheitsprinzipien erhalten, die wir zu gegebener Zeit auch an andere weitergeben sollten?

Eine Frage der Ehrlichkeit

Schließlich nahm ich die drei Anzeigen, die mir am meisten zugesagt hatten, und legte sie der Dame am Schalter vor. Sie gab mir für jede Stelle ein Bewerbungsformular mit der Bitte, alles gleich auszufüllen. Im Prinzip war das eine einfache Sache. Aber zwei Fragen machten mir regelrecht Bauchschmerzen: die über mein letztes Gehalt und die über meine Religionszugehörigkeit. Was würde man von jemandem halten, der zuletzt nur 50 Dollar die Woche verdient hatte? Müsste die Bewerbungskommission nicht an meinen geistigen Fähigkeiten zweifeln, wo sie nicht wusste, dass Missionare der Siebenten-Tags-Adventisten nur ein geringes Gehalt bekamen? Wäre es nicht besser, das Feld einfach freizulassen oder lieber mein letztes Gehalt in den USA anzugeben? An der Universität von Loma Linda, wo ich in der Forschung tätig gewesen war, hatte ich sehr gut verdient. Nach einigem Zögern entschied ich mich, nichtsdestotrotz eine ehrliche Angabe zu machen. Ich schrieb wahrheitsgemäß: „50 Dollar die Woche“.

Aber noch schwerer tat ich mich mit der Frage nach der Religionszugehörigkeit. Diese Angabe war damals verpflichtend (heutzutage ist es nicht mehr so). „Wenn ich mich als Siebenten-Tags-Adventist zu erkennen gebe, kann ich die Bewerbung gleich vergessen“, dachte ich mir. Doch auch hier rang ich mich schließlich dazu durch, zur Wahrheit zu stehen.

Überraschung

Nachdem ich alle drei Formulare vollständig ausgefüllt hatte, gab ich sie bei der Dame am Schalter ab. Ich war mir ziemlich sicher, dass diese Bewerbungen aussichtslos waren. Das sagte ich auch meiner Frau, als ich ihr zu Hause alles erzählte.

Zu meiner großen Überraschung erhielt ich ein paar Tage später einen Anruf vom Büro des Gouverneurs. Man teilte mir mit, ich sei eine von zehn Personen in der engeren Auswahl, die zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen würden. Als ich meiner Frau von dem Telefonat berichtete, äußerte ich erneut Zweifel, ob ich wirklich eine reelle Chance hätte, genommen zu werden. Mein Glaube war zu der Zeit nicht sehr stark.

„Sind Sie Albert Schweitzer?“

Es vergingen einige Tage, bis sich das Büro des Gouverneurs wieder meldete. Es war so weit: Ich wurde zum Vorstellungsgespräch nach Sacramento bestellt. Der Amtssitz des Gouverneurs war beeindruckend. Dann führte man mich in den für die Befragung vorgesehenen Raum. Auf der einen Seite saßen die Mitglieder der Bewerbungskommission, der freie Stuhl gegenüber war für mich bestimmt. Ich nahm Platz und sah mir die Anwesenden an. Der Gesichtsausdruck des Vorsitzenden schien mir nichts Gutes zu verheißen. Mit einem leicht spöttischen Unterton in der Stimme begann er die Befragung. „Also, ich lese hier, dass Sie zuletzt ein Gehalt von 50 Dollar die Woche hatten. Sind Sie Albert Schweitzer, oder sind Sie ein Narr?“. Ein paar Sekunden lang wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Dann antwortete ich: „Weder noch, Herr Vorsitzender. Ich bin Missionar der Siebenten-Tags-Adventisten. Und wir messen Menschen nicht daran, wie viel Geld sie verdienen, sondern was sie zum Werk beitragen.“

Der Vorsitzende hatte offensichtlich nicht mit so einer Antwort gerechnet. Er zeigte sich erstaunt. Seine Stimme klang nun ganz anders, jegliche Spur von Sarkasmus war verschwunden. Die Situation hatte sich merklich entspannt. Ein anderer Prüfer meldete sich zu Wort: „Ein Missionar der Siebenten-Tags-Adventisten? Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen?“ Und so informierte ich die Kommission in groben Zügen darüber, wo und wie ich als Missionar tätig gewesen war. Zum Schluss stellten sie mir noch ein paar organisatorische Fragen, und dann durfte ich gehen. Zu Hause empfing mich erwartungsvoll meine Frau. Ich erklärte ihr gleich, man würde sicher jemand anders für diese interessante Position aussuchen. Nach allem, was ich erlebt hatte, schätzte ich meine Chancen als gering bis nicht vorhanden ein.

Nicht zu fassen!

Drei Tage später klingelte das Telefon; es war jemand vom Gouverneursbüro. Er sagte: „Sie sind als Sonderberater für den Gouverneur ausgewählt worden.“ Ich war absolut fassungslos! Voller Freude versprach ich, so schnell wie möglich nach Sacramento zu kommen. Es war mir allerdings zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar, was man eigentlich konkret von mir erwartete und worauf ich mich eingelassen hatte. Gott zeigt uns nicht immer alles, was auf uns zukommt, damit wir nicht schon am Anfang den Mut verlieren.

In Sacramento angekommen, klärte der Gouverneur mich über meine Aufgabe auf: Ich sollte einen Plan für das gesamte Gesundheitswesen im Bundesstaat Kalifornien ausarbeiten! Zu der Zeit wusste ich so gut wie nichts über das kalifornische Gesundheitswesen. Ich war gezwungen, in kurzer Zeit sehr viel Neues zu lernen. Doch Gott half mir dabei. Der Gouverneur versicherte mir, ich könne für die Ausarbeitung des Gesundheitsplanes jede nur erdenkliche Hilfe in Anspruch nehmen; es gebe großzügige finanzielle und personelle Unterstützung. Ich durfte selbstständig Entscheidungen treffen, auch im Hinblick auf meinen Mitarbeiterstab. Täglich arbeitete ich 15 Stunden, um die Sache voranzubringen.

Neuigkeiten

Nachdem schon eine mehrwöchige Schaffensphase hinter mir lag, rief mich eines Abends zu Hause mein Freund von der Universität an. Er meinte, der Einstellungsstopp sei aufgehoben worden und ich könne sofort die geplante Forschungsarbeit aufnehmen. Ich berichtete ihm von meiner neuen, außergewöhnlich interessanten Tätigkeit, die ich jetzt natürlich nicht einfach aufgeben wollte. Er beharrte aber darauf, dass er mich unbedingt brauche und deshalb mit dem Gouverneur persönlich sprechen wolle. Es gelang ihm, mit dem Gouverneur einen Kompromiss auszuhandeln: Ich durfte für einige Stunden am Tag so lange meinem Freund bei der Forschungsarbeit helfen, bis ein Ersatz für mich gefunden war. So kam es, dass ich über etwa zwei Monate gleichzeitig bei zwei verschiedenen Arbeitgebern angestellt war. Der Gouverneur stellte mir einen Dienstwagen zur Verfügung. Morgens fuhr ich zur Universität von Kalifornien und arbeitete an dem Forschungsprojekt mit, den Rest des Tages arbeitete ich für den Gouverneur in Sacramento. Und von beiden Arbeitsstellen bezog ich ein volles Gehalt!

Ich gab mir die größte Mühe, auch unter dieser Doppelbelastung den Plan für das Gesundheitswesen so schnell wie möglich voranzubringen, hatte ich doch bis zum Ende des Urlaubs nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung. Der Herr half mir Tag für Tag, das konnte ich spüren.

Ein Adventist in Regierungskreisen

Als Gouverneursberater bewegte ich mich in den höchsten Regierungskreisen von Kalifornien. Überall stellte man mich als adventistischen Missionar aus Neuguinea vor. Mein Aufenthalt in Neuguinea hatte sowohl die Mitglieder der Bewerbungskommission als auch den Gouverneur stark beeindruckt, denn es war allgemein bekannt, dass dort Kannibalen schon ausländische Missionare ermordet hatten. Nun empfand ich es als Führung Gottes, dass ich damals auf dem Formular „Siebenten-Tags-Adventist“ eingetragen und mich beim Vorstellungsgespräch als Missionar zu erkennen gegeben hatte. Es schmerzte mich allerdings ein wenig, wenn ich daran dachte, wie zögerlich ich bei diesen Angaben gewesen war.

Da die Leute wussten, dass ich zur Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten gehörte, erwarteten sie geradezu ein bestimmtes Verhalten von mir. Auch benahmen sie sich in meiner Gegenwart teilweise anders als sonst. Oft entschuldigten sie sich, wenn sie in meinem Beisein ordinäre Ausdrücke gebrauchten. Wurde Alkohol getrunken, erwähnte man verständnisvoll, man wisse von meiner Abstinenz. Dabei hatte ich von mir aus niemandem mitgeteilt, dass ich keinen Alkohol trinke! Aber unsere Taten sprechen ja bekanntlich lauter als unsere Worte.

Cocktails und Orangensaft

Eines Tages lud man mich zu einer Cocktailparty ein. Normalerweise ging ich nicht zu solchen Feiern, die in Regierungskreisen fast täglich stattfanden. Dort wurde immer viel getrunken. Aber diesmal wurde ein guter Freund von mir verabschiedet, der ein juristischer Berater der kalifornischen Regierung gewesen war. So entschied ich mich ausnahmsweise, bei seiner Abschiedsparty anwesend zu sein.

Manche meiner adventistischen Freunde machen bei so einer Gelegenheit lieber kein Aufheben davon, dass sie keinen Alkohol trinken. Um nicht aufzufallen, halten sie den ganzen Abend ein volles Glas in der Hand. Sie trinken zwar nicht davon, aber sie sind so etwas wie „Halbadventisten“ – Untergrundkämpfer, die nicht bemerkt werden wollen, Soldaten ohne Uniform. Vielleicht schämen sie sich für die Armee, der sie angehören? Kennst du das auch?

Als ich bei der Party ankam, öffnete sich die Tür, und eine Dame begrüßte mich mit den Worten: „Dr. Farag, willkommen! Ich weiß, Sie trinken keinen Alkohol. Ich habe etwas Besonderes für Sie vorbereitet: hier, ein Glas Orangensaft.“ Ich erwiderte: „Vielen Dank, dass sie daran gedacht haben!“ Ich wusste nicht, dass gleich hinter mir der Gouverneur stand. Er hatte mitgehört und sagte zu meiner Überraschung: „Für mich auch einen Orangensaft!“

Den ganzen Abend über trank er nichts anderes. Er hielt sich vielmehr an meiner Seite und löcherte mich mit Fragen: „Warum trinken Sie keinen Alkohol? Wie leben Siebenten-Tags-Adventisten sonst so? Was glauben sie über dieses? Wie sehen Adventisten jenes?“ Er unterhielt sich so ausführlich mit mir, dass andere Gäste schon fragten: „Herr Gouverneur, sprechen Sie auch noch mit anderen Leuten außer Dr. Farag?“

Die Welt braucht unsere Werte

Was will ich damit sagen, besonders unseren jungen Adventisten? Schämt euch nicht für euren Glauben! Es gibt Leute, die möchten gerne nach guten Prinzipien leben, aber sie sind zu schwach, es auf sich allein gestellt zu tun. Doch wenn sie jemandem begegnen, der grundsatztreu ist, dann schließen sie sich ihm gerne an. Deshalb sollten wir immer bedenken, dass wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Mitmenschen eine große Verantwortung haben. Manchmal spürte auch ich die Versuchung, meinen Glauben zu verschleiern – wie bei meiner Bewerbung, als ich fast verschwiegen hätte, dass ich Siebenten-Tags-Adventist bin. Doch schämen wir uns nicht für unseren besonderen Glauben! Die Welt braucht die Werte, die wir als Adventisten vertreten. Tragen wir unsere „Uniformen“, und seien wir stolz darauf! Gott hat keine Untergrund-Christen. Er möchte, dass wir seine Repräsentanten, seine Botschafter sind.

Was ich nicht gewusst hatte

Erst viele Monate später erfuhr ich ganz nebenbei, warum mein Vorgänger entlassen worden war. Er hatte Geld veruntreut sowie einen teuren Mercedes-Benz als Bestechungsgeschenk angenommen. Dadurch waren dem Gouverneur eine Menge Unannehmlichkeiten entstanden. Durch diesen Vorfall sensibilisiert, war er sofort für mich eingenommen gewesen, als er erfuhr, dass sich auch ein Missionar unter dem engeren Bewerberkreis befand. Angeblich äußerte er spontan: „Wer könnte ehrlicher sein als ein adventistischer Missionar!“ Ich musste immer wieder daran denken, wie gut es gewesen war, dass ich mich gleich bei der Bewerbung als Adventist zu erkennen gegeben hatte. Durch Gottes Kraft war es mir möglich gewesen, in diesem entscheidenden Moment ehrlich zu sein.

Als unser Heimaturlaub zu Ende ging, präsentierte ich dem Gouverneur den vollständigen Plan für das Gesundheitswesen in Kalifornien. Ich überreichte ihm einen Bericht in dreifacher Ausfertigung. Ein Exemplar war für ihn persönlich bestimmt, die beiden anderen sollten dem Senat sowie der Staatsversammlung zur Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt werden. Dieser Prozess würde, so teilte man mir mit, erfahrungsgemäß etwa einen Monat dauern. Da in dieser Zeit für eventuelle Rückfragen und Erläuterungen meine Anwesenheit erforderlich war, musste ich meine Abreise entsprechend verschieben. Meine Frau und unsere drei Mädchen gingen wie geplant an Bord des Schiffes, das sie in 31 Tagen Überfahrt zurück nach Australien bringen sollte. Wir vereinbarten, dass ich mit dem Flugzeug nachkommen würde, sobald alles erledigt war.

Nächtlicher Anruf

Schließlich kamen wir alle rechtzeitig wieder in Australien an. Nur drei Wochen vergingen, da klingelte eines Nachts das Telefon und riss uns aus dem Schlaf. Es war Mitternacht. Ich griff zum Hörer, und die Stimme am anderen Ende der Leitung sagte: „Hier spricht Robert Pearson.“ Schlaftrunken fragte ich zurück: „Robert wer?“ „Robert Pearson, der Präsident der Generalkonferenz.“

Ich hatte noch nie einen Anruf vom Präsidenten der Generalkonferenz bekommen und wunderte mich, dass er ausgerechnet mitten in der Nacht mit mir sprechen wollte. „Ja, Bruder Pearson, worum geht es?“, fragte ich. „Bruder Farag, wir möchten, dass du zurückkommst.“ Ungläubig wiederholte ich: „Zurückkommen?? Wir sind doch eben erst angekommen!“ „Ja, ich weiß“, meinte Bruder Pearson. „Aber Gouverneur Reagan hat mit Präsident Nixon Kontakt aufgenommen und ihm dargelegt, dass er dich unbedingt zur Umsetzung des Planes für das Gesundheitswesen in den USA braucht. Reagan und seine Berater sind der Meinung, niemand anders könne das so gut machen wie du. Daraufhin hat Präsident Nixon mich zu Hause angerufen und darum gebeten, dich für diese Aufgabe freizustellen. Ich habe das Ganze mit dem Ausschuss der Generalkonferenz besprochen, und der ist unter Gebet zu dem Ergebnis gekommen, dass du dem Ruf von Präsident Nixon und Gouverneur Reagan folgen solltest.“

Meine Frau und ich weinten, denn es war eine schwere Entscheidung für uns. Schließlich rangen wir uns durch, zurück nach Amerika zu gehen.

Gott liebt auch die Großen der Welt

Es sollten insgesamt fast 20 Jahre werden, während derer ich unter den „Reichen und Berühmten“ arbeitete. Die ganze Zeit über ergaben sich immer wieder Gelegenheiten zu bezeugen, was wir Adventisten glauben. Ich hatte mir das nicht ausgesucht – es war Gottes Plan. Gott ist es eben wichtig, auch die Großen der Welt zu erreichen. Ich kann auf keine Erfahrung verweisen, dass jemand aus den Regierungskreisen durch mein Zeugnis gleich Adventist geworden wäre. Aber eines kann ich offen und ehrlich sagen: Alle, mit denen ich im Lauf meiner Arbeit zu tun hatte, haben erfahren, was Adventisten glauben. Manchmal wurde ich vom Gouverneur oder von Abgeordneten sogar zu Hause angerufen und um Rat gefragt. Obwohl es dabei auch um Themen ging, die nicht zu meinem Aufgabengebiet gehörten, wollten sie meine Meinung wissen, weil sie wussten, dass ich ihnen immer die Wahrheit sagen würde.

Eine bemerkenswerte Ausnahme

Als Gouverneur Reagan aus dem Amt schied, wurden – wie in Amerika üblich – alle seine Berater entlassen. Alle außer mir. Der Nachfolger, Gouverneur Jerry Brown, rief mich an und bat mich zu bleiben. „Ich habe doch bisher für Gouverneur Reagan gearbeitet“, entgegnete ich. „Ja, ja, das wissen wir“, meinte er. Als ich ihn nach dem Grund der Übernahme fragte, erklärte er: „Wir haben uns ganz genau über Sie erkundigt. Sie sind an keine Partei gebunden. Sie sagen immer die Wahrheit, egal, ob Sie mit Republikanern oder Demokraten sprechen. Solche Leute sind selten.“ War das nicht ein großes Kompliment? Auch diese Begebenheit zeigt, dass die meisten Leute es schätzen, wenn jemand ehrlich und aufrichtig ist. Gottes Volk muss wahrhaftig sein! Schämen wir uns nicht, uns ganz ehrlich vor den Leuten zu zeigen.

Eines Sabbats

Jerry Brown hatte eine abgeschlossene Ausbildung zum katholischen Priester. Als er sein Amt als Gouverneur antrat, wusste er noch nicht, dass ich sabbats generell nicht arbeite. So kam es, dass eines Sabbatmorgens, als wir gerade zur Gemeinde aufbrachen, das Telefon klingelte. Meine Frau saß mit den Kindern schon im Auto. Ich dachte, es wäre jemand aus der Gemeinde, und hob ab. Es war der Gouverneur. Er sagte: „Dr. Farag, bitte kommen Sie möglichst gleich in mein Büro. Wir haben eine Sondersitzung. Es wird nicht lange dauern.“

Nicht seine Sekretärin hatte angerufen – er persönlich! Ich antwortete: „Es tut mir leid, Herr Gouverneur, heute kann ich nicht.“ Er erwiderte: „Ich weiß, es kommt etwas unerwartet. Aber es sind ein paar Leute aus Washington hier, die brauchen Ihren Rat. Es dauert wirklich nur ein paar Minuten.“ Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, kurz hinzugehen und ihnen auszuhelfen. Aber dann dachte ich mir: „Nein, das kannst du nicht machen.“ Also sagte ich das dem Gouverneur. „Bitte kommen Sie doch, nur für ein paar Minuten!“, bat er mich inständig. „Es geht nicht um die paar Minuten“, erklärte ich ihm. „Es geht darum, dass ich Siebenten-Tags-Adventist bin und am Samstag grundsätzlich nicht arbeite. Meine Familie sitzt schon fertig im Auto, und wir wollen zum Gottesdienst in die Gemeinde fahren.“ „Oh“, rief er, „das ist kein Problem! Ich schreibe Ihrem Priester einen Brief.“

Damit kannte er sich ja aus, als Absolvent des katholischen Priesterseminars. „Nein“, gab ich zur Antwort, “das möchte ich gar nicht. Aber ich bin gerne bereit, nach Sonnenuntergang zu Ihnen zu kommen und notfalls die ganze Nacht für Sie durchzuarbeiten.“ – Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann kam die knappe Antwort: „Gut, in Ordnung. Auf Wiederhören.“ Als ich den Hörer auflegte, hatte ich ein beklommenes Gefühl. Zu meiner Frau gewandt, sagte ich: „Ich glaube, ich habe gerade meine Arbeit verloren.“

„Dr. Farag, wo waren Sie denn?“

Am Montagmorgen war Kabinettssitzung. Mein Sitznachbar Dr. Jerome Lackner, Direktor der Gesundheitsabteilung, sagte zu mir: „Dr. Farag, wir haben sie am Samstag vermisst. Wo waren sie denn?“ Der Gouverneur saß am Kopfende des Tisches und hörte mit. Ich entgegnete: „Ich war in der Gemeinde im Gottesdienst. Aber Sie sind doch Jude. Wieso waren Sie nicht in der Synagoge?“ Die Frage war mir einfach so rausgerutscht – vor den Ohren des Gouverneurs. Dr. Lackner kratzte sich verlegen am Kopf und erwiderte: „Ja, ich weiß, ich hätte in der Synagoge sein sollen. Ich hatte einfach nicht den Mut. Dr. Farag, Sie sind ein besserer Jude als ich.“

Der Gouverneur eröffnete die Sitzung und gab als Erstes, an seinen Sekretär gewandt, zu Protokoll: „In Zukunft dürfen Sitzungen, an denen Dr. Farag teilnehmen soll, nicht mehr an einem Samstag stattfinden.“ Und so kam es, dass ich seit dieser Episode nie wieder einen Anruf vom Gouverneur am Sabbat erhalten habe. Ich arbeitete noch weitere acht Jahre für Brown und die kalifornische Regierung. Es war nicht so interessant wie die ersten acht Jahre unter Reagan, aber ich habe auch in dieser Zeit mein Bestes gegeben. Und der Herr hat seine Hände schützend über mir gehalten.

Steck dir hohe Ziele!

Warum habe ich diese Erfahrungen berichtet? Weil Gott auch „die oberen Zehntausend“ erreichen will. Er sucht nach Mitarbeitern, die fähig und bereit sind, ihn auch vor den Reichen und Mächtigen zu bezeugen. Diese Menschen brauchen genauso einen Erlöser. Viele dieser hochgestellten Prominenten spüren einen Seelenhunger in sich. Viele sind auf der Suche nach den bleibenden Werten im Leben. Auch sie brauchen Zeugen. Wir kümmern uns viel um die einfachen Leute – und das ist gut so. Aber auch ein Nikodemus und ein Joseph von Arimathia müssen die Wahrheit erfahren, so wie auch Paulus Menschen in hohen Kreisen erreichte.

In diesen sehr interessanten Jahren habe ich gelernt, dass jeder Mensch einen Erlöser braucht, der einfache Arbeiter ebenso wie das Regierungsmitglied. Sehr wenige Adventisten sind in den Führungskreisen dieser Welt vertreten. Gott sucht vor allem jüngere Leute, die ihm treu dienen möchten. Steckt euch hohe Ziele! Wir brauchen Daniels und Josephs an vielen Orten dieser Welt. Stellen wir uns Gott ganz zur Verfügung und überlassen es ihm, wo er uns hinstellt. Er möchte Großes durch uns tun!


Salem Farag, „Die 50-Dollar-Story“, Standpunkte (Ausg. 23, 2014), S. 65-71