Echte Vergangenheitsbewältigung

Vergangenheitsbewältigung – wozu eigentlich? Man könnte meinen, dass es ausreicht, negative Erlebnisse einfach zu verdrängen und sich ganz auf die Zukunft zu konzentrieren. Doch zwischen Vergangenheit und Zukunft eines Menschen gibt es eine Verbindung, die manchmal erst bewusst gelöst werden muss. Geschehenes muss „bewältigt“ werden, aber nicht irgendwie, sondern auf dem Weg, den uns Gottes Wort vorgibt. Nur dann ist Vergangenheitsbewältigung „echt“.

Echte Vergangenheitsbewältigung lässt uns hoffnungsvoll und frei die Zukunft gestalten. Wir sind oft so betrübt und belastet und nicht frei, ein glückliches Leben zu führen, obwohl es jedem offensteht. Wir blicken neidisch jene an, die unbeschwert ihr Leben genießen, und sind selbst traurig und entmutigt. Ein Grund dafür kann die nicht verarbeitete Vergangenheit sein, sehr oft die Kindheit, in der vieles geschehen ist, was eigentlich nicht hätte passieren dürfen.

Stress aus der Vergangenheit

Wer seine Vergangenheit nicht bearbeitet und bewältigt hat, trägt diese Last sein ganzes Leben mit sich. Diese Situation belastet nicht nur sein „Jetzt“, sondern macht ihn auch unfähig, die Zukunft recht zu gestalten. Es gibt genug Stress, der Tag für Tag zu bewältigen ist. Wenn dann noch Stress aus der Vergangenheit dazukommt, wird es für den einen und anderen einfach zu viel, und er bricht zusammen.

Was verstehen wir unter Stress aus der Vergangenheit? Das sind böse Erfahrungen, die ich gemacht habe, die mein Herz belasten. Prägungen, die ich erblich von den Eltern mitbekommen habe. Mängel, an denen ich gelitten habe, wie z. B. der Mangel an Liebe. Es sind Versäumnisse, die an mir geschehen sind. Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben und an denen ich heute noch leide. Es kann auch ein schlechtes Gewissen sein, das ich mit mir herumtrage, weil ich so manches falsch gemacht oder versäumt habe. Auch okkulte Belastungen aus der Vergangenheit können sich im Heute stressreich auswirken. Sie werden oft über Generationen weitervererbt und müssen dann aufgearbeitet werden.

Es war einmal …

… ein kleiner Junge. Als er sechs Jahre alt war, ließen seine Eltern sich scheiden. Er erlebte, wie die Teetassen und Teller über seinen Kopf hinwegflogen. Das waren tiefe Eindrücke in seiner Seele. Er hätte sich so sehr eine harmonische Familie gewünscht und fragte sich oft: „Warum passiert das gerade mir?“ Die Kirchengemeinde hatte seiner Mutter den Rat gegeben, ein zweites Kind könnte die Ehe retten, aber als sein Brüderchen geboren war, kam es trotzdem zur Scheidung.

Später erlebte er, wie seine Mutter sich einem anderen Mann anvertraute. Der Mann wurde sein Stiefvater, doch es gab kaum ein inniges Verhältnis zu ihm. Der Junge bekam noch zwei Halbgeschwister und wurde dann Zeuge der zweiten Scheidung seiner Mutter. Immer wieder nagte es an seinem Herzen: „Warum gerade ich? Ich hätte gern eine gesunde und intakte Familie gehabt!“

Eine schwere Zeit brach für ihn an. Seine Mutter war nun alleinerziehend mit vier Kindern, und er musste als Ältester in der Familie die Vaterrolle übernehmen. Er hatte keine einfache Kindheit und konnte seinen Geschwistern nicht einfach nur Bruder sein. Die Mutter besprach alle ihre Sorgen mit ihm, und er musste Reparaturen durchführen, die ihm niemand vorher gezeigt hatte. Zwar bekam er dadurch sehr früh eine Reife, die er sonst nicht erhalten hätte, aber er entbehrte einer unbeschwerten Kindheit. Heute, viele Jahre später, hat er Antwort bekommen auf seine Frage nach dem „Warum“. Gott bereitete ihn dadurch auf seine Aufgabe als Ehe- und Familienberater vor. Da er alle diese Schwierigkeiten persönlich durchgemacht hat, kann er jetzt anderen helfen, die in ähnlichen Problemen stecken.

Jeder hat seine Geschichte

Jeder von uns hat seine eigene Lebensgeschichte, die ihn so besonders macht. Das, was du erlebt hast, hat kein anderer erlebt! Es mag schwierig gewesen sein, aber es hat dich auch einzigartig, ja, einmalig gemacht. Die Herkunftsfamilie hat einen wichtigen Stellenwert in unserem Leben. Eltern prägen das Leben genauso wie Geschwister oder Verwandte. Auch die Umwelt geht nicht spurlos an uns vorrüber: Nachbarn, Schule und Freunde sind ebenso prägend und wegweisend.

Vergangene Verletzungen

Selten hat jemand eine ganz behütete Vergangenheit. Oft sind Fehler passiert, und die Folgen von Unterlassungen zeigen sich in der Gegenwart. Ein Mangel an Liebe wird am häufigsten genannt, etwa weil ein Elternteil fehlte oder nicht fähig war, sich liebevoll um den Nachwuchs zu kümmern. An zweiter Stelle steht Missbrauch, körperlich wie seelisch. Früher meinte man, dem Kind die Flausen mit Schlägen austreiben zu können, und so mancher Kochlöffel ist am Allerwertesten zerbrochen. Schlimmer noch ist der seelische Missbrauch, wo dem Kind Schuldgefühle gemacht werden oder moralischer Druck ausgeübt wird. Ganz tragisch ist sexueller Missbrauch, der mittlerweile – dem Herrn sei Dank – immer mehr thematisiert und angesprochen wird und so manche dunkle Seite im Leben von Menschen aufdeckt.

Die Reaktionen auf Missbrauch sind vielfältig. Zum einen kann er beim Betroffenen zu einem Mangel an Selbstwert führen. Damit ist er unfähig, glücklich zu sein und sein Leben zu meistern. Er entwickelt sich zum Beispiel zu einem Arbeitstier, zu einem Perfektionisten, der sich selbst im Wege steht, oder auch zu einem Angsthasen, scheu und schüchtern, der sich nichts zutraut. Ein anderer benötigt Statussymbole wie Schmuck, Schminke, Prestige-Autos oder Luxuswohnungen, um seinen Eigenwert zu heben.

Die Neigung zu Extremen kann eine andere Auswirkung aus Verletzungen der Vergangenheit sein: sklavische Unterwürfigkeit und Hörigkeit, aber auch Tyrannei und Gewalttätigkeit. Oft sind es auch Zwänge und Süchte, die aus Verletzungen in der Kindheit herrühren, besonders auf dem Gebiet der Unmoral wie Sexsucht, Selbstbefriedigung oder Pornografie. Dies alles macht den Menschen unfrei und unfähig, sein Leben zu meistern.

Wenn der Segen eines glücklichen Heims fehlt

Glücklicherweise sind solche Auswirkungen nicht unausweichlich. Auch ohne das Glück und den Segen einer intakten Familie kann man in der Beziehung zu Gott geborgen sein und Großes im Leben erreichen. Ein glänzendes Beispiel dafür ist Joseph. Wenn jemand sagen konnte, dass seine Familie sein Leben zerstört hatte, dann war es wohl er. Vom Vater verwöhnt, von den Brüdern gehasst, misshandelt und verkauft, verbrachte er ein Leben als Sklave in der Fremde.

Doch Joseph wollte nicht in Selbstmitleid versinken. Er entschloss sich, mit Gottes Hilfe das Beste aus seiner Lage zu machen. Und dann kam der Tag, an dem sich das Blatt wendete und er zum zweiten Mann in Ägypten wurde. Joseph bekam einen Sohn und gab ihm den Namen Manasse – „der vergessen lässt“:

1Mo 41,51 Denn Gott … hat mich vergessen lassen all mein Unglück und mein ganzes Vaterhaus.

Warum dieser Name? Joseph hatte sein Vaterhaus nicht wirklich vergessen, aber er konnte vergeben. So wurde er frei, den Seinen auch noch zu dienen und zu helfen. Diese Kraft steht jedem von uns zur Verfügung. Denken wir an Jesus. Vielleicht glauben wir, unter der Fürsorge von Maria und Joseph habe er eine heile Kindheit erleben können und fragen neidisch: Wieso durfte er in einem liebevollen Heim aufwachsen und unbeschwerte Kinderjahre erleben?

Aber sehen wir uns seine Kindheit genauer an. Jesus, der Mann aus Nazareth, hatte es keineswegs leicht. Seine Mutter wird schon in der Verlobungszeit schwanger und muss den Tod fürchten. Der Vater möchte die Mutter verlassen. Nach einem langen und beschwerlichen Ritt auf einem Esel wird er in einem Stall geboren, muss noch als Säugling mit seinen Eltern nach Ägypten fliehen, weil König Herodes nach seinem Leben trachtet und sich nicht scheut, alle Kinder in seinem Alter umbringen zu lassen. Da Joseph etliche Kinder aus einer früheren Ehe mitbringt, erlebt Jesus die Herausforderungen einer Patchwork-Familie. Seine älteren Halbgeschwister lehnen ihn ab und piesacken ihn ständig wegen seines auffallend anderen Lebensstils. Auch der frühe Tod seines Vaters ging sicher nicht spurlos an ihm vorüber.

Gibt es überhaupt eine problemlose und ausschließlich glückliche Kindheit? Ich denke, nicht. Jeder hat mehr oder weniger Ballast aus der Vergangenheit und muss damit fertig werden. Aber wie? Jesus schaffte es durch die Beziehung zu seinem Vater im Himmel. Das ist auch dir möglich, denn er bietet uns an: „Mein Vater kann auch dein Vater sein, wenn du es willst.“ Darum hat er uns auch geboten, Gott im Gebet als „Unser Vater im Himmel“ anzureden (Mt 6,9).

Die Vergangenheit heilen

Wer heute seine Vergangenheit bewältigen möchte, geht meist zum Psychotherapeuten und erhofft sich dort Hilfe. Für spezielle Prägungen mag es zutreffen, dass die Tiefenpsychologie etwas zutage fördert, was mir bislang nicht bewusst war. Die Gefahr der Tiefenpsychologie ist aber: „Hast du Sorgen und Probleme? Ich habe noch ein paar mehr für dich!“ Damit meine ich, dass seelische Schmerzen noch einmal durchlebt und Wunden aufgerissen werden, aber wenn es um ech- te Heilung geht, stößt die Psychologie schnell an ihre Grenzen. Wirkliche Hilfe ist nur durch das Wort Gottes zu erfahren. Hier sind drei elementare Ratschläge aus der Schrift:

  1. Die Wahrheit macht frei
  2. Vergebung macht frei
  3. Freiheit ist eine Entscheidung

1. Die Wahrheit macht frei

Joh 8,32 Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen!

Die Bibel, das Buch der Wahrheit, erinnert uns an eine Tatsache:

Eph 6,1 Ihr Kinder sollt euren Eltern gehorchen, weil ihr dem Herrn gehört, denn so handelt ihr richtig.
2 „Ihr sollt Vater und Mutter ehren.“ Das ist das erste der Gebote, an das eine Zusage Gottes geknüpft ist:
3 Wenn du deinen Vater und deine Mutter ehrst, „wird es dir gut gehen und du wirst ein langes Leben haben.“

Wer seine Eltern nicht ehrt, verkürzt sein Leben! Er schadet sich selbst. Das Problem ist aber: Wie kann ich meine Eltern ehren, wenn ich immer daran denken muss, wie sehr sie an mir gesündigt haben?

Stellen wir zuerst eine andere Frage: Was heißt „ehren“ eigentlich? Das hebräische Wort kabed meint ursprünglich kein Auszeichnen einer Person über eine andere, sondern das Anerkennen ihres Platzes in der Verwandtschaft oder Gesellschaft (Elberfelder Sprachschlüssel, 1316). „Vater und Mutter ehren“ bedeutet demnach: ihnen das rechte Gewicht geben, sie weder überbewerten noch geringachten, sie als Eltern wertschätzen und ihnen den richtigen Stellenwert geben. Und das kann ich nur, wenn ich ihr Leben – die „Wahrheit“ über sie – kenne. Einige wichtige Gedanken dazu:

  • Suche respektvoll (und soweit sie es zulassen), die Geschichte deiner Lieben zu erfahren.
  • Lerne ihre Prägung kennen, denn jeder von ihnen hat seine eigene Vergangenheit.
  • Wer den anderen verstehen möchte, muss einige Zeit „in seinen Schuhen gehen“ – sich bewusst in ihn hineinversetzen.

Manches Verhalten wird dann verständlicher und wiegt nicht mehr so schwer, als wenn ich einfach von mir auf andere schließe. Die Wahrheit über das Leben meines Gegenübers macht mich freier! Eine andere Wahrheit, die ebenso Anteil an meiner Freiheit hat, ist:

  • die Tatsache, dass ich einmalig und daher wertvoll bin (Jes 43,4)
  • die Tatsache, dass ich von Gott geliebt bin, selbst wenn kein Mensch mich liebt (Jer 31,3)

Ich bin also nicht von Menschen abhängig, um Liebe und Wertschätzung zu bekommen. Der Schöpfer selbst schenkt sie mir!

2. Vergebung macht frei

Vergebung setzt Energien frei. Die Flamme einer Kerze wird schnell erstickt, wenn ein Glas über die Kerze gestülpt wird. Doch hebt man das Glas noch rechtzeitig hoch, lodert die Flamme wieder auf. Das ist ein Bild für den neuen Anfang, den Vergebung möglich macht.

Echte Vergangenheitsbewältigung kann ich nicht erleben, wenn ich in Selbstmitleid schwelge oder die Schuld immer beim anderen suche. Vorwürfe und Vorhaltungen werden keinen einzigen Menschen verändern, sie verletzen ihn nur noch mehr. Mein „Nachtragen“ macht mich vielmehr zum Sklaven des anderen. Die einzige Lösung dieser Problematik ist, dass ich vergebe. Eine solche Vergebung muss angesprochen und ausgesprochen werden. Sie muss von Gott erbeten und dem an mir schuldig Gewordenen geschenkt werden – selbst wenn er sie gar nicht annimmt. Dann erst ist das Problem für mich persönlich wirklich erledigt.

Vergeben ist ein bewusster Willensakt, ein „Ich will nicht mehr daran denken“. Vergessen ist ein bewusstes Ausleeren dessen, was man im Herzen angesammelt hat. Wirkliche Vergebung ist immer etwas Einzigartiges, denn sie geschieht ein für allemal und hat niemals eine Wie- derholung notwendig! Aber auch Vergebung anzunehmen und mir selbst zu vergeben, wenn ich schuldig geworden bin, kann meinen Willen und meine Entscheidung erfordern. Die Vorbedingung dafür ist echte und tiefe Reue, nicht bloß eine formale, oberflächliche Entschuldigung beim anderen. Sichtbar wird sie durch eine Wiedergutmachung, soweit es mir möglich ist. Und dann darf ich auch meine eigene Verfehlung innerlich loslassen.

Mangelnde Vergebungsbereitschaft ist wie eine seelische Fessel. Erinnern wir uns an das Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,21-35): Weil er nicht vergeben wollte, obwohl er selbst ganz von der Vergebung lebte, verlor er seine Freiheit. Diese Wahrheit trifft heute noch genauso zu. Wer nicht vergeben kann, schadet sich selbst am meisten, denn er lebt gleichsam „in einem Gefängnis“! Doch niemand braucht in diesem Gefängnis zu bleiben. Christus ist gekommen, um uns Freiheit zu bringen. Für jeden, der inneren Groll überwinden und seinem Nächsten vergeben möchte, gibt es eine unerschöpfliche Quelle: Es ist die Liebe Gottes, die voller Vergebung ist und auch uns zur Vergebung befähigt.

1Kor 13,5 … [Die Liebe] lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu …
7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.

Das Kreuz Jesu befreit mich nicht nur von meinen persönlichen Sünden und Versäumnissen, sondern auch von dem „nichtigen Wandel nach der Väter Weise“ (1Pe 1,18 LUT), also von den Belastungen der Vergangenheit, die zum Beispiel durch die Herkunftsfamilie verursacht worden sind. Die Gute Nachricht drückt es so aus:

1Pe 1,18 Ihr wisst, um welchen Preis ihr freigekauft worden seid, damit ihr nun nicht mehr ein so sinn- und nutzloses Leben führen müsst, wie ihr es von euren Vorfahren übernommen habt. Nicht mit Silber und Gold seid ihr freigekauft worden …

Das Zeugnis Jesu versichert uns, dass niemand ein Sklave seines Erbgutes oder ein Gefangener ererbter Schwächen sein muss:

1ICP 160 Egal, wie die Begleitumstände. Leiden- schaften und Gelüste sein mögen, sie herr- schen nicht über den Gottesfürchtigen, son- dern er hat Kontrolle über sie. Ein Christ braucht nicht Sklave irgendeiner ererbten oder gepfleg- ten Neigung oder Gewohnheit zu sein. … Jene, die durch ein kluges Verständnis der Schrift das Kreuz im rechten Licht sehen und wahrhaft an Christus glauben, besitzen eine sichere Glaubensgrundlage. Sie haben den Glauben, der durch die Liebe tätig wird und die Seele von aller ererbten und anerzogenen Unvollkommenheit reinigt.

In seinem Buch Heilung der Erinnerungen schreibt David Seamands:

Jesus brachte uns nicht nur Reinigung von den schuldhaften Erinnerungen unseres Fehlverhaltens, die unser Gewissen belasten, sondern auch Heilung für solche schmerzhaften Erinnerungen, die in uns aufsteigen, um unsere Persönlichkeit zu quälen und zu versklaven. S. 48

Jesus hat am Kreuz auch für die Verfehlungen bezahlt, die meine Eltern an mir begangen haben. Er hat ihnen vergeben, darum kann und soll auch ich ihnen vergeben.

3. Freiheit ist eine Entscheidung

Phil 3,13 Brüder, ich halte mich selbst nicht dafür, dass ich es ergriffen habe; eines aber tue ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt, 14 und jage auf das Ziel zu, den Kampfpreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus.

Unsere Gedankenwelt hat gewaltigen Einfluss auf unser Leben und unsere Persönlichkeit. Wenn wir negative Erfahrungen nicht vergeben und loslassen, ist die Gefahr groß, dass sie „historisch“ werden – zu unserem Schicksal. Jesus fordert uns auf, an Lots Frau zu denken (Lk 17,32): Sie schaute zurück und verlor ihr Leben. Die Liebe Jesu dagegen macht frei, zu „vergessen, was dahinten ist“ (Phil 3,13 LUT), und sich nach dem auszustrecken, was vor einem liegt.

Wer zurückschaut, ist nicht fähig, das Heute und Jetzt recht zu gestalten. Ein Ackermann, der seine Hand an den Pflug legt, muss beständig nach vorne schauen (Lk 9,62). Egal, aus welchem Grund er zurückschaut – ob er mit Stolz auf seine geraden Furchen schaut oder mit Schrecken die krummen Kurven betrachtet –, durch den Blick nach hinten wird er mit Sicherheit auf den nächsten Metern ein Zickzack statt gleichmäßiger Linien hinlegen.

Fallen wir nicht in die Ausrede: „Ich bin nun einmal das, was man aus mir gemacht hat. Ich kann nicht anders. Die Schuld liegt bei meinen Eltern.“ Diese Haltung ist eine Selbsttäuschung. Es gibt ja keinen perfekten Vater und keine fehlerlose Mutter. Die Kinder werden sicher manches anders machen wollen als ihre Eltern oder sogar besser, und ich bin sicher, dass es ihnen auch gelingen wird. Trotzdem werden auch sie niemals ohne Fehler sein. Und so werden auch ihre Kinder Grund zu dem Vorwurf haben: „Ihr seid schuld.“

Dieser Teufelskreis kann durchbrochen werden, wenn ich mich für die Freiheit entscheide. Es gibt den Segen der „Nacherziehung“. Jeder kann sich durch die Kraft Gottes verändern und muss nicht bleiben, wie er ist. Es gibt keinen Determinismus, keine Vorherbestimmung. Wir selbst sind die Baumeister unseres Lebens. Was Hänschen nicht lernt, kann Hans lernen – und muss es sogar, denn das spätere Leben erzieht ihn doch, ob er will oder nicht. Nur dass diese Schule oft strenger ist und härter als die in der Kindheit. Aber ohne Veränderung geht es nicht. Der Segen einer persönlichen Beziehung zu Gott wirkt sich in einer Veränderung des Charakters und in der Heilung der Vergangenheit aus.

Raimund Fuchs, „Echte Vergangenheitsbewältigung“, Standpunkte (Ausg. 23, 2014), S. 52-57