Die Seelenplünderer

Ein paar Zahlen

Mitte des 19. Jahrhunderts betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit rund 70 Stunden oder sechs 12-Stunden-Tage. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fiel die Zahl auf rund 60 Stunden, und in den 1950ern waren 50 Stunden die Norm. Heute arbeitet man 40 Stunden oder weniger die Woche. Doch obwohl wir mehr Freizeit haben als je zuvor, haben wir uns gemeinschaftlich dem Fernseher zugewandt, um den wachsenden Hunger nach Neuheiten, Nachrichten und Unterhaltung zu stillen.

Amerikaner verbringen die Hälfte ihrer freien Zeit vor dem Fernseher. 99 % der amerikanischen Haushalte haben mindestens ein TV-Gerät – mehr als Kühlschränke oder Innentoiletten. 32 % der Haushalte haben zwei Fernseher, 66 % drei. In einem typischen Heim läuft der Fernseher sieben Stunden täglich. Davon entfallen auf jeden Erwachsenen über vier Stunden = mehr als 28 Stunden pro Woche bzw. zwei Monate Tag-und-Nacht-Nonstop-Gucken im Jahr.

Bei einer Lebensdauer von 65 Jahren hat eine Durchschnittsperson am Ende neun volle Jahre auf die Mattscheibe gestiert, genug Zeit für mindestens zwei Universitätsabschlüsse. Der junge Amerikaner heute verbringt mehr Zeit vor dem Fernseher als mit irgendeiner anderen Aktivität außer Schlafen.

Die Psychologin Dr. Jane Healy bemerkt:

Bei Kindern im Alter von drei bis fünf – der kritischen Phase für die kognitive Hirnentwicklung [die geistigen Fähigkeiten] – wird die durchschnittliche Fernsehzeit auf 28 Stunden pro Woche geschätzt. Bei Grundschülern beträgt das Mittel etwa 25 Stunden, in höheren Klassen 28 Stunden wöchentlich – gut sechsmal so lang wie die Zeit für Hausaufgaben. J. Healy, Endanger ed Minds, 196

Zählt man zum Fernsehen noch die Zeit mit Videospielen hinzu, kommen viele Teenager auf 35 – 55 Stunden in der Woche, so eine Studie der Amerikanischen Akademie für Pädiatrie Kinderheilkunde. Der preisgekrönte und pensionierte Nachrichtenanalyst Robert MacNeil stellt die Frage:

Wann in der Weltgeschichte hat ein so großer Teil der Menschheit kollektiv so viel von seiner Freizeit einem Spielzeug gewidmet, einer Massenunterhaltung? Wann zuvor hat praktisch ein ganzes Land sich in großem Maßstab einem Medium verkauft?
Robert MacNeil, The Trouble with Television (Essay), 2

Fernsehen ist eine der ersten Freizeitbeschäftigungen geworden, doch ironischerweise führt gerade das Sitzen vor der Röhre zu Passivität, Anspannung und Konzentrationsstörungen. Faktisch verschlechtert sich die Stimmung von Personen, die längere Zeit vor dem Fernseher sitzen.

In vielen Heimen sind kreatives Denken, Geselligkeit und gemeinsames oder persönliches Reflektieren durch eine Drehbuchwelt ersetzt worden. Sinnvolle mentale und soziale Beschäftigung sorgt aber für ein weiseres, produktiveres und erfüllteres Volk und schafft letztlich eine sicherere Gesellschaft.

Einschaltdroge?

Die Statistiken konfrontieren uns mit der ernüchternden Tatsache, dass Fernsehen einen hypnotischen und möglicherweise abhängig machenden Effekt auf das Gehirn hat. »Fernsehsucht« ist in unserer Gesellschaft zu einem feststehenden Begriff geworden, der sogar die Forschung beschäftigt:

Extreme Gelüste sind nicht immer mit physischen Stoffen verknüpft. Glücksspiel kann zwanghaft werden, Sex kann zur Sucht werden. Eine Beschäftigung jedoch ist herausragender und allgegenwärtiger als jede andere – Fernsehen, der Welt liebster Zeitvertreib. Die meisten Merkmale einer Stoffabhängigkeit treffen auch auf häufige TV-Gucker zu. R. Kubey / M. Csikszentmihalyi, Television and the Quality of Life

Und was sind die Merkmale einer Stoffabhängigkeit? Viel Zeit damit verbringen; mehr als gewollt davon verwenden; über eine Reduktion nachdenken oder mehrfach erfolglos zu reduzieren versuchen; wichtige soziale, familiäre und berufliche Aktivitäten deswegen vernachlässigen; Entzugserscheinungen beim Absetzen. In die gleiche Richtung geht Howard Shaffer, Leiter der Suchtabteilung an der Harvard-Universität, wenn er sagt, dass Drogenkonsum keine notwendige und ausreichende Ursache für Abhängigkeit ist. Es ist nicht richtig, dass eine Sucht immer durch Drogen ausgelöst wird. H. J. Shaffer, »The most important unresolved issue in the addictions«, Substance Use Misuse, 1997:32(11), 1573

Zwanghaftes Fernsehen kann verheerende Folgen für das Familienleben, Beziehungen und auch die Arbeit haben. Ein 32-jähriger Polizeibeamter mit Frau und zwei Kindern hat drei TV-Geräte zu Hause. 71 Stunden pro Woche sieht er fern. »Ich gehe kaum noch raus«, gibt er zu.

So ein unkontrollierter TV-Konsum scheint ein steigendes, aber unstillbares Verlangen nach mehr Stimulation Anregung zu produzieren. Schlimmer noch: Die Kultur der Unterhaltungsbranche schafft eine Fantasiewelt, neben der das normale Leben langweilig wird. Der Medienkritiker Neal Gabler stellt fest, dass eine von Medien durchsättigte und stimulierte Gesellschaft alles nur noch nach dem Unterhaltungswert beurteilt. Jedes Erlebnis braucht einen hohen Spaßfaktor, ob in der Arbeit, Schule, Kirche oder Freizeit.

Zuschauer berichten, dass sie sich beim Fernsehen entspannt und passiv fühlen. Aber die Entspannung endet, sobald das Gerät ausgeschaltet wird. Zurück bleibt ein Empfinden von Passivität und erniedrigter Wachheit. Umfrageteilnehmer geben an, das Fernsehen habe »irgendwie « ihre »Energie verbraucht oder leergesaugt; hinterher ist man leer«. Wird der Fernseher eingeschaltet, stellt sich schnell Entspannung ein, weil der Zuschauer die Tätigkeit des Zuschauens damit verknüpft. Veränderungen im Gehirn stärken diese Verknüpfung. Doch sobald der Schirm wieder dunkel ist, treten Stress und Stimmungstrübungen auf und verstärken den Drang, das Gerät anzulassen. Und je länger Leute fernsehen, desto weniger befriedigend erleben sie es. Fernsehverzicht kann bei Süchtigen depressive Stimmung hervorrufen, Verlustgefühle, Angst und starke Begierden nach mehr von der anregenden Wirkung des Fernsehens.

TV und das erwachsene Gehirn

Auch bei Erwachsenen kann das Gehirn neue Neuronen Nervenzellen bilden. Dazu bemerkt der Neuropsychiater Jeff Victoroff allerdings:

Eine Vielzahl neuer wissenschaftlicher Daten zeigt uns den Unterschied zwischen der Wirkung passiven und aktiven Erlebens auf das Gehirn. Es sind ohne Frage die aktiven Reaktionen auf kognitive Herausforderungen, die unsere erwachsenen Neuronen anschalten. Und hier kommen wir zum entscheidenden Punkt bezüglich mentaler Stimulation und dem Gehirn: Passives Erleben nützt dem erwachsenen Gehirn kaum. Damit das Hirn lernt und wächst, müssen wir auf kognitive Reize aktiv antworten. J. Victoroff, Saving Your Brain

Viele meinen, das Fernsehen fördere die Allgemeinbildung. Aber wie kann jemand lernen, dessen Gehirn sich in einem passiven Zustand befindet? Wie viel, sogar von den »Bildungssendungen«, erreicht die höheren kognitiven Areale des Gehirns?

Erwachsene denken oft, ihr Verhalten habe keinen Einfluss auf ihr Gehirn, weil das schon voll entwickelt sei. Doch auch das erwachsene Gehirn reagiert ständig auf Reize von innen und außen und modelliert sich entsprechend um.

Gehirnnerven bilden ständig neue Verbindungen, damit häufige Handlungen uns leichter von der Hand gehen. Das Hirn kann durch Erfahrungen geformt werden, genauso wie Muskeln auf bestimmte Übungen ansprechen. J. Ratey, User’s Guide to the Brain, 55f.

Es stimmt, dass die Anatomie im Großen und Ganzen fix ist. Dennoch gedeihen im alltäglichen Leben manche Neuronengruppen besonders gut, während andere aufgrund mangelnder Nutzung absterben. Eine mental inaktive Person verliert Hirnzellen. Ebenda, 141f.

Auf der anderen Seite vergrößern Tätigkeiten, die Ihr Gehirn fordern, die Anzahl und Stärke der betroffenen neuronalen Verknüpfungen. Ebenda, 36

Beispiele dafür sind, ein Musikinstrument zu erlernen, anspruchsvolle Literatur zu lesen oder eine neue handwerkliche Tätigkeit zu lernen. Erwachsene können ebenso wie Kinder ihr Gehirn aktiv einsetzen und den entsprechenden Nutzen in Form von Wachstum, Vermehrung und Stabilität der Hirnnerven genießen. Erwachsene können einen scharfen Verstand aber auch scheibchenweise abbauen, da ungenutzte Hirnschaltkreise schwinden oder gar sterben. Ohne Interaktion [wechselseitiges Handeln] mit anderen und intellektuelle Herauforderungen fällt es immer schwerer, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Man ist nicht so produktiv und weniger fähig, Ziele im Leben zu verwirklichen.

TV und das Gehirn in der Entwicklung

Das heranwachsende Gehirn eines Kindes ist für Einflüsse aus Umwelt und Lebensstil besonders empfänglich und besonders anfällig für die Fähigkeit des Fernsehers, die Denk- und Funktionsweise des Gehirns zu verändern. Die Psychologin Jane Healey ist Expertin für Lesen und Lernen sowie publizierte Forscherin im Bereich der Auswirkungen des Fernsehens auf das lernende Gehirn. Sie schreibt:

Die Wissenschaft ist sich absolut bewusst, dass jedes intensive Erleben prägenden Einfluss auf das wachsende Gehirn hat. Und viele Kinder sind mehr mit Fernsehen beschäftigt als mit irgendetwas anderem, ausgenommen Schlafen.

In Bezug auf Lernen kann das Fernsehen mit Büchern, sozialer Interaktion und Erfahrungen aus dem echten Leben nicht mithalten. Zu beobachten, wie Buchstaben und Zahlen über den Bildschirm fliegen, erreicht nicht so gut die Hirnzonen, die mit mentaler Verarbeitung, Konzentration, Schreibfertigkeit, kritischem Denken und aktiver Problemlösung zu tun haben. Zu viel Zeit vor der Mattscheibe kann im Gegenteil bewirken, dass diese wichtigen Fähigkeiten bei Erwachsenen wie auch bei Kindern abnehmen.

Übermäßiger TV-Konsum kann dazu führen, dass Kinder die für kritisches Denken nötigen Schaltkreise nicht entwickeln, während die Hirnteile »überverdrahtet« werden, die nach Neuem und Belohnung schreien, ohne dass man groß nachdenken muss. Allein das hat weitreichende Konsequenzen für die moralische, soziale und intellektuelle Entwicklung unserer Gesellschaft, wenn man berücksichtigt, wie viel Freizeit wir in die Flimmerkiste stecken.

Eine jüngere Studie über die Auswirkungen des Fernsehens auf das Gehirn berichtet, dass »wiederholte Reize in der Kindesumgebung die mentale und emotionale Entwicklung nachhaltig beeinflussen können, indem entweder bestimmte Nervenbahnen aufgebaut werden (›Denkmuster‹) oder dem Gehirn andersartige Erfahrungen vorenthalten werden. Dieser für Hirnstruktur und -funktion prägende Vorgang scheint sowohl die Zellentwicklung als auch die Regulierung von Neurotransmittern [Botenstoffen zwischen Nerven] zu beeinflussen.«

Für ein Kind in der Entwicklung ist das Fernsehen eine doppelte Bedrohung: zum einen durch seine hirnprägende Wirkung, zum anderen durch den unweigerlichen Verlust vieler nützlicher Beschäftigungen, für die keine Zeit mehr bleibt. Einfach ausgedrückt: Das Fernsehen sorgt dafür, dass eine Menge Dinge ungetan bleiben.

Dimitri Christakis, Forscher am Kinderhospital und regionalen Medizinzentrum in Seattle (Washington), fand heraus, dass bei Vorschulkindern mit jeder Stunde Fernsehen das Risiko um 10 % steigt, dass später Aufmerksamkeitsprobleme entstehen, z. B. Konzentrationsschwäche, Unruhe, Impulsivität und leichte Verwirrbarkeit. Dr. Christakis stellte fest, dass Fernsehen ein sich entwickelndes Gehirn überreizen und dauerhaft umverknüpfen kann.

Er schrieb: Es gibt viele Gründe für Kinder, nicht fernzusehen. Andere Studien stellen eine Verbindung zu Fettleibigkeit und Aggressivität her. D. Christakis, Interview von A P News, April 2004

Das Fernsehprogramm kann Bildung bieten, Information, Unterhaltung und auch Entspannung. Es gibt gute Sendungen über Wissenschaft, Geschichte, Natur, Religion, Kunst und das Leben. Sie können eine nette Abwechslung sein und Interesse an neuen Wissensgebieten wecken. Doch das höhere Lernen geschieht nur durch aktiven Geisteseinsatz, und den stimuliert das Fernsehen im Allgemeinen nicht, denn es ist ein weitgehend passiver Vorgang.

Höheres Lernen könnte man als einen Prozess beschreiben, der vor allem freiwillige statt erzwungene Aufmerksamkeit verlangt, unter aktivem und ausdauerndem Einsatz von Verstand und geistigen Fähigkeiten. Passives Lernen dagegen stützt sich auf schnelle, hochintensive Reize für Auge und Ohr. Es spricht die Hirnregionen für Unbekanntes und Angst an, erfordert aber kaum geistige Mühe und lässt wenig Zeit für moralische Bewertung.

TV und das neutrale Gehirn

Dr. Antonio Domasio, Leiter der Neurologie an der Universität von Iowa (Medizinschule), hat offenbar weitere Erkenntnisse darüber, wie der häufige Konsum von Gewalt in Fernsehen oder Videospielen das Gefühlsleben betäubt. Nach Dr. Domasio steigt das Risiko für emotionale Gleichgültigkeit, je mehr das Gehirn mit Eindrücken bombardiert wird. Der Grund ist, dass unser Informationszentrum Daten viel schneller aufnehmen und verarbeiten kann als unser Gefühlszentrum.

Domasio sagt: Wir haben eigentlich zwei Systeme, die ganz aufeinander abgestimmt sind und perfekt zusammenarbeiten, die aber sehr unterschiedlich funktionieren, was den Zeitfaktor angeht. Das eine ist das emotionale System, ein Grundregelsystem, das sehr langsam arbeitet, im Sekundentakt oder noch langsamer. Das andere ist das kognitive (Informations-) System, das aufgrund seiner Verdrahtungsweise und auch des hohen Myelingehalts vieler Fasern deutlich schneller ist. »Antonio Domasio’s theory of thinking faster and faster«, Discover, Mai 2004:25(5), 49

Nervenbahnen, die zur Formung von Einstellungen, Mitgefühl, Emotionen und Werten wichtig sind, fehlt der fetthaltige Myelinmantel, und sie verarbeiten Informationen langsamer. Schnelle Bildfolgen können die Regionen für Unbekanntes und Angst anregen, um die Aufmerksamkeit zu erlangen und zu halten, aber den tiefergehenden, emotionalen Gedächtnisbahnen bleibt keine Zeit, das Erlebte zu festigen und zu bewerten.

Noch einmal Domasio: Wir registrieren Ereignisse immer schneller und immer oberflächlicher, man lässt mir keine Zeit, etwas sacken zu lassen … Meine Gefühle für meine Frau – Emotionen also, die sich langsam entwickeln, sind dagegen etwas ganz anderes. Sie sind wie eine Oase. Aber in den Nachrichten zeigen sie eins nach dem anderen. Egal, wie schockierend die Bilder sind, sie werden nur so kurz gezeigt, dass die Zeit fehlt, sich den Horror eines bestimmten Geschehens bewusst zu machen. Ebenda

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Nachrichtensender gräuliche Szenen wiedergibt, während unten ein Band mit Sportergebnissen und Börsenkursen läuft. Der Endeffekt ist, dass solche Bilder uns nicht länger moralisch schockieren; sie sind einfach eine Information unter anderen.

Die Fernsehnachrichten, von kritischen Stimmen heute »Infotainment« [Information als Unterhaltung] genannt, nutzen zwei »Verpackungsmethoden«, um das Interesse der Zuschauer zu wecken.

Erstens kann Aufmerksamkeit durch Thema oder Inhalt einer Meldung erreicht werden: Gewalt, Katastrophen und Sex lassen erfahrungsgemäß die meisten Zuschauer aufmerken. M. Grabe u. a., »Packaging television news«, Journal of Br oadcasting and Electr onic Media, 2000:44(4), 581

Zweitens werden die Emotionen des Publikums durch aufwändige und effektvolle Produktionstechniken angesprochen: Soundeffekte, Musik, aufblitzende Bilder, Zeitlupe und eindringliche Sprechstimmen.

Die Überfrachtung der Sinne wirkt sich sowohl körperlich als auch emotional aus. 14 Minuten negative TV-Meldungen erhöhten die Produktion von Stresshormonen bei den Zuschauern, ebenso Pessimismus, Sorgen, Ängste und Trübsinn.

Domasio meint: Ein Ereignis oder eine Person wird zwar kurz abgebildet, aber ein emotionaler Eindruck bräuchte mehrere Sekunden. Dieses Missverhältnis kann unsere Ethik aushöhlen. Wir befinden uns in einer emotional neutralen Welt.

Die Gefahr der Bilderflut sieht Domasio darin, dass es immer mehr Menschen geben wird, die sich in ihren Entscheidungen über Gut und Böse allein auf ihr kognitives System verlassen müssen, ohne ihr emotionales Gedächtnis. Man kann sie über Gut und Böse aufklären, aber es bleibt womöglich nicht haften.

Erzwungene Aufmerksamkeit

In ihrem Buch Endangered Minds: Why Children Don’t Think and What We Can Do About It [Verstand in Gefahr: Warum Kinder nicht denken und was wir dagegen tun können] führt Dr. Jane Healy mehrere mögliche Wirkungen des Fernsehens auf das Gehirn auf, darunter erzwungene Aufmerksamkeit, neurale Passivität [der Hirnnerven] und Sucht.

Die Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, entwickelt sich im Inneren des Menschen. Aber das Fernsehen zieht die Aufmerksamkeit des Gehirns künstlich auf sich, indem bestimmte Schutzmechanismen umgangen werden – durch aufblitzende Bilder, plötzliches Heranzoomen und aufdringliche Klänge. Häufige laute Geräusche, Kamerazooms und kurze verfremdete Bilder kündigen den Hirnbereichen für Unbekanntes, Angst und Belohnung eine drohende Gefahr an. Deshalb starrt man wie gebannt immer weiter hin, ob man möchte oder nicht. Das Ergebnis kann Überaktivität, Frustration und Reizbarkeit sein.

Der Nachrichtenanalyst Robert MacNeil bemerkt über die vom Fernseher erzwungene Aufmerksamkeit:

Die Vielfalt des Fernsehers wirkt betäubend, nicht anregend. Man kann gar nicht anders, als seinen kaleidoskopischen Bildsequenzen zu folgen. Kurz gesagt: Einer großer Teil des TVProgramms beraubt den Menschen einer seiner wertvollsten Gaben – der Fähigkeit, sich eigenständig auf etwas zu konzentrieren statt einfach passiv in etwas hineingesaugt zu werden

Ein Forscher, der sich mit der Wirkung des Fernsehens beschäftigte, berichtete von seinem eigenen peinlichen Kampf, sich bei einem Interview auf das (sogar interessante!) Gespräch zu konzentrieren, während im Hintergrund ein Fernseher lief. Charles L. Black, Juraprofessor an der Yale-Universität, schrieb:

Zwangsernährung mit belangloser Kost ist selbst keine Belanglosigkeit. Robert MacNeil, The Trouble with Television, 2

Neurale Passivität

Laut Dr. Healey kann das Fernsehen »neurale Passivität« bewirken und das Durchhaltevermögen schwächen. Dr. Jennings Bryant von der Universität von Alabama berichtet, dass nach längerem Anschauen von temporeichen Sendungen »die Wachsamkeit herabgesetzt« und das Vermögen zum Lesen und Puzzlelösen verringert war. Bryant, der Mitglied des Forschungs- und Planungskomitees für die Kinderlernsendung The Electric Company war, gibt an, dass jüngere Zuschauer »weniger willig waren, an der Aufgabe dranzubleiben«. Er schlussfolgert, dass durch solche Sendungen womöglich Kinder produziert werden, deren Bedürfnis nach Spannung, funkelnden Stars usw. sich so verstärkt hat, dass der Lerneffekt praktisch nebensächlich ist. J. Healey, Endanger ed Minds, 201f.

In der Tat deutet vieles darauf hin, dass Fernsehen Tagträumerei fördert und das kreative Vorstellungsvermögen mindert. Der Grund ist, dass der Fernseher die Aufmerksamkeit vor allem durch Alarmmechanismen erregt statt durch geistige Anregung.

Zudem kann die Stimulierung durch tempogeladene Bilder und Geräusche im TV schnell zu einer Droge werden. Die höheren Hirnregionen für Lernen, Konzentration und Motivation werden dabei übergangen.

Der hypnotisch-betäubende Effekt des Fernsehens wird gut von Robert MacNeil beschrieben: Das Problem ist, dass Fernsehen das Konzentrationsvermögen verkümmern lässt. Fast alles Interessante und Lohnende im Leben erfordert auf irgendeine Weise konstruktive, ausdauernde Bemühungen. Aber der Fernseher sagt uns: »Streng dich nicht an.« Er verkauft Befriedigung auf Knopfdruck. Er unterhält uns allein der Unterhaltung wegen, als gänzlich müheloser Zeitvertreib.

Erste Experimente mit Messungen der Hirntätigkeit beim Fernsehen ergaben, dass beim Wechsel von Lesen zu Fernsehen »sofort die langsamen Alphawellen überwogen«, die typischerweise bei fehlender geistiger Aktivität auftauchen. (H. Krugman, »Brain wave measures of media involvement«, Journal of Advertising Resear ch, 1971:2(1), 3)

Zwei von drei Studien bestätigten ein höheres Maß an eher passiven Alphawellen beim Fernsehen, hingegen mehr schnelle Betawellen beim Lesen. Später wurde gezeigt, dass simples, uninteressantes oder verwirrendes Lesematerial die gleiche Wirkung bezüglich Alphawellen hat wie das Fernsehen.

Zu Tode amüsiert

In seinem Buch Still Bored in a Culture of Entertainment [Entertainment-Gesellschaft und immer noch gelangweilt] führt der Psychiater Richard Winter aus, dass die Unterhaltung früherer Generationen hauptsächlich darin bestand, sich mit Nachbarn zu treffen, Popcorn zu machen und Geschichten von sich und anderen zu erzählen, die bedeutsame Erinnerungen wach hielten. Die Technik hat das alles verändert. Der Philosoph Roger Scruton fügt hinzu:

Das Fernsehen beschränkt den Menschen von Kindesbeinen an auf einen Kasten voller faszinierender Plattheiten. Ohne selbst sprechen, handeln oder sich für andere interessant machen zu müssen, erhält er dennoch volle Unterhaltung. R. Scruton, A n Intelligent P erson’s Guide to Modern Cultur e, 96

Und Unterhaltung bekommen wir, ja, wir werden regelrecht überschwemmt damit. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es bei spannenden Sendungen um Einschaltquoten geht, denn Quoten ziehen Werbung an, und Werbung bringt Gewinne. Es geht um Werbung, nicht Information. Entertainment ist der Weg zu dem höchsten aller Ziele: Geld.

Untersuchungen der Harvard-Ökonomin Wirtschaftswissenschaftlerin Juliet Schor haben ergeben, dass man desto mehr Geld ausgibt, je mehr man fernsieht. Sie fand heraus, dass jede zusätzlich Wochenstunde vor der Mattscheibe ein jährliches Ausgabenplus von 208 Dollar mit sich brachte. Die untersuchten Personen schauten 11,5 Stunden pro Woche fern, was 2 300 Dollar an ungeplanten, unnötigen Einkäufen entsprach. Deswegen sind große Unternehmen auch bereit, Millionenbeträge für 30 Sekunden Werbung zu bezahlen.

Heute hat ein 20-Jähriger bereits über eine Million Werbeclips im TV gesehen. Was lernen Kinder von der Werbung? Kinder lernen, dass sie die wichtigsten Personen im ganzen Universum sind, dass sie ihren Impulsen nicht widerstehen sollten, dass man nichts erdulden sollte und dass die Lösung für jedwede Unannehmlichkeit ein Produkt ist. Sie erlernen eine eigenartige Mischung von Unbefriedigtsein und Anspruchsdenken. Die Botschaften der Werbung erziehen unsere Kinder zu impulsiven, süchtigen Egozentrikern. R. Winter, Still B or ed in a Cultur e of Entertainment, 59

Die Werbung hat möglicherweise größeren Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung als andere problematische Medien, weil sie Selbstsucht statt Genügsamkeit predigt, Sofortbefriedigung statt Warten-Können und Konsumhaltung statt Sparsamkeit. Der Autor Henry Lebalme spricht von einer unrealistischen Überbewertung von Wünschen und einer verschobenen Wahrnehmung, was die Bedeutung relativ kleiner Probleme angeht. H. Labalme, The Overwatched American

Muss mein Bad wirklich wie ein Laden für Kuriositäten aussehen? Verliere ich wirklich meine Freunde, wenn mein Haar dünner wird?

Die Flut von Stimulation, Information, Werbung und Unterhaltung hat ein überraschendes Resultat gezeitigt: Langeweile. Dr. Winter erklärt: Wenn von überall Reize auf uns einstürmen, kommen wir an einen Punkt, wo wir auf alles nur noch oberflächlich reagieren. Wenn dauernd irgendetwas Aufregendes unsere Aufmerksamkeit beansprucht, können wir zwischen den vielen Optionen kaum noch klar unterscheiden und auswählen. Das Ergebnis ist, dass wir uns gegen alles von außen abschotten.

Os Guinness schildert diesen Zustand so:

Die meisten zwanghaften Käufer und TVKanalsurfer entwickeln sich vom Gut-Fühlen hin zum Nichts-Fühlen. O. Guinness, The Call, 149

Genau das ist der Zustand, in den das Übermaß an Entertainment, Werbung und Non-stop-Aufdrehung uns treibt. Glücklicherweise können Körper, Geist und Gehirn auch wieder daran gewöhnt werden, an weniger Überladenem Freude zu haben, an einer Ausgewogenheit zwischen Bekommen und Warten.

Videospiele

Videospiele sind nicht allein die Domäne von Kindern und Jugendlichen. Elektronische Spiele, ob über Konsole, Handgeräte oder PCs, sind zur weltweiten Freizeitbeschäftigung aller Altersgruppen und Geschlechter geworden. 2002 wurden Spiele im Wert von 17,5 Mrd. Dollar verkauft, an der Spitze die Amerikaner mit 11 Milliarden. 60 % der Amerikaner spielen Videospiele; davon sind 61 % Erwachsene und fast die Hälfte Frauen. Das Durchschnittsalter liegt bei 28 Jahren; es sind allerdings die jüngeren Kreise, die besonders viel Zeit mit Computerspielen verbringen.

Video- und Computerspiele haben Licht und Schattenseiten. Sie können unterhaltsam sein und gelegentlich Abwechslung bieten. Im Gegensatz zum Fernsehen erfordern Computerspiele aktive Teilnahme und die Entwicklung strategischer Fertigkeiten. Manche sind kreativ, aber eine Besorgnis erregende Anzahl ist auch gewalttätig und pornografisch. Der Psychiater Richard Winter streicht heraus, dass die Technik offensichtlich als gewaltiger Verstärker beider Aspekte unserer Welt fungiert: all des Wunderbaren und Guten, aber auch all des Schrecklichen und Bösen.

Auch in den Bereichen Abhängigkeit und Isolation entstehen durch Videospiele immer mehr Probleme. Zehnjährige Jungs spielen fast 10 Stunden pro Woche. Über 60 % der Kinder geben an, dass sie länger videospielen als geplant, vielleicht weil die hohe Interaktivität, die das Spielen gerade attraktiv macht, bei häufigen Spielern tatsächlich zur Sucht führen kann.

Videospiele setzen meist auf eine Mischung von Neuartigkeit, Belohnung, Gewalt und Erotik, um die Aufmerksamkeit der Spieler zu fesseln. In der Spielidee enthalten ist ein Belohnungssystem, das Spieler dazu verlockt, stundenlang künstliche Ziele zu verfolgen. Jane Healey beschreibt, mit welchen »Geheimwaffen« das Interesse der Spieler angezogen und gehalten wird:

  • Das Gefühl, etwas zu meistern und zu beherrschen
  • Exakte Abstimmung der Schwierigkeitsstufe auf den Spieler
  • Unmittelbare und andauernde Verstärkung
  • Flucht aus der Unberechenbarkeit menschlicher Ereignisse und Beziehungen
  • Anspruchsvolle, bunte, temporeiche Grafiken

Die Kombination aus diesen Faktoren birgt für häufige Spieler ein erhöhtes Risiko für Suchtverhalten, das sich ähnlich äußert wie bei Drogenabhängigkeit. Studien zeigen, dass Videospiele das Dopamin »Glückshormon« im Gehirn beeinflussen.

Wiederholte Überreizung des Dopamin produzierenden Belohnungszentrums kann abhängig machen, egal ob Drogen der Auslöser sind oder stark anregende Aktivitäten. Die krasse Musik und Soundeffekte im Hintergrund vieler Spiele erhöhen das Suchtpotenzial noch.

Überdies lässt sich die isolierte Mikrowelt eines in hohem Maße belohnenden Spiels nur beschränkt auf das Lernen im Klassenzimmer übertragen. Lernen im echten Leben bietet weniger an Macht, Spannung, unmittelbarer Belohnung und künstlicher Erhöhung der Aufmerksamkeit, fordert aber mehr kritisches Denken, Problemlösung und die Integration unterschiedlicher Fähigkeiten, um Ergebnisse zu produzieren. Dass ein Kind ein Spiel beherrscht, heißt noch nicht, dass die entwickelten Strategien auch im realen Leben von Nutzen sind.

Tatsache ist, dass intensives Spielen und Fernsehen sich negativ auf drei kritische Bereiche im lernenden Gehirn auswirken kann:

  1. die Entwicklung von Sprache, Lesen und analytischem Denken;
  2. den Informationsaustausch zwischen den Hirnhälften;
  3. das Potenzial für Aufmerksamkeit, Organisation und Motivation.

Trotz dieser Fakten ist nur allzu wahr, was ein unbekannter Autor einmal niederschrieb:

Die Leute werden am Ende lieben, was sie unterdrückt, und die Technik bewundern, die sie ihrer Fähigkeit zu denken beraubt.

Süchtig nach Gewalt?

Gewalttätige Videospiele sind kürzlich mit verminderter Aktivität der Hirnareale für Emotionen, Impulse und Konzentration in Verbindung gebracht worden, wobei offenblieb, ob die Veränderung von Dauer ist. Es ist möglich, mit der Zeit nicht nur danach süchtig zu werden, Gewalt anzuschauen oder zu simulieren, sondern auch reale Gewalttaten zu begehen.

Der Neuropsychiater und Suchtexperte John Ratey bestätigt, dass manche Menschen ein echtes Problem mit »Wutsucht« haben:

Aggressive Personen haben oft einen unteraktiven Stirnlappen – das ist die Hirnregion, die impulsives Handeln zügelt und Weisheit einbringt. Wenn dieser Bereich nicht richtig oder ausreichend funktioniert, werden Zorngefühle nicht gehemmt. Aus dem Kreislauf von niedriger Hemmung und Überreizung auszubrechen, wird noch durch die Erfahrung erschwert, dass es eine gewisse Erleichterung verschafft, den aggressiven Impuls auszuleben. Die Sucht nach Aggressionen als Weg, um Probleme zu lösen und Frust loszuwerden, kann es einer zornigen Person sehr schwer machen, sich zu verändern. J. Ratey, User’s Guide to the Brain, 237f.

Mediengewalt kann Wutsucht nähren.

David Grossman ist ein Militärpsychologe, der sich jahrelang mit den Methoden und psychischen Auswirkungen des Armeetrainings beschäftigt hat, das die natürlichen Hemmungen der Rekruten gegen das Töten umgehen soll. Im Anschluss an mehrere Schulmassaker war er sachverständiger Zeuge. Er untersuchte auch die Wirkung medialer Gewalt auf die Gewaltbereitschaft Erwachsener. Grossman schreibt:

Der technisch anspruchsvollste Aspekt der neuen Videospiele ist die Genauigkeit der Darstellung – das Abschlachten, das Blut, die Gedärme. Realismus ist der heilige Gral der Videospielbranche. Und die neusten Techniken lassen der Fantasie nur wenig Raum – alles scheint echter und darum wirkungsstärker … Die interaktive Qualität, die Intensität der Gewalt, die physiologischen Reaktionen – alles dient dazu, das Spielerlebnis von Gefühlsrausch und Leistung direkt mit den Gewaltszenen zu verknüpfen. Und die »guten« Gefühle sorgen dafür, dass der Spieler immer weiterspielen will. D. Grossman, Stop Teaching Our Kids to Kill, 66.68

Er fügt hinzu: Ich glaube nicht, dass ich Ihnen sagen muss, wie tödlich die Kombination von ultrabrutalen Bildern mit dem Schießbudenspaß auf einem Jahrmarkt ist, wo man auf etwas schießt, bis es umfällt.

Bedenkt man, dass Spielen die Auge- Hand-Koordination tatsächlich verbessert, steht man vor der düsteren Wahrscheinlichkeit, dass diese Spiele den Spieler nicht nur dafür belohnen, dass er sich an grauenhaft realistischen Gewalt- und Mordszenen beteiligt, sondern ihm außerdem eine tödliche Exaktheit beibringen, die ihn befähigt, auch im echten Leben zu verkrüppeln und zu töten – und zwar als Automatismus.

»Aber es ist doch nur ein Spiel«, wird manchmal gesagt. Für Dr. Grossman sind es nicht einfach Spiele, sondern »Tötungssimulatoren«, die bestimmte Tötungsreflexe antrainieren, ganz so wie auch Astronauten durch Simulatoren den Flug zum Mond erlernen, ohne je die Erde verlassen zu müssen. Die schaurige Analyse der Schulmassaker in seinem Buch [Hört auf, unseren Kindern das Töten beizubringen] ist mehr als überzeugend.

Das Fernsehen hat den gleichen abstumpfenden Effekt, nur ohne aktives Training, indem es die Zuschauer konditioniert, sich von fürchterlichen Verbrechen und sexueller Ausbeutung unterhalten zu lassen. Mit 18 Jahren hat ein amerikanischer Jugendlicher 16 000 simulierte oder versuchte Morde und 200 000 Gewalttaten gesehen. In rund drei Vierteln dieser Szenen wird die Gewalt entweder belohnt oder nicht umgehend bestraft. Zahlreiche Bevölkerungsstudien stellen einen Zusammenhang zwischen Gewalt im Fernsehen und einem Anstieg von Gewalttätigkeit, Mord und Mordversuchen her. Auch Musik mit gewalttätigen Texten über Selbstmord, sexuelle Gewalt, Mord und Satanismus wirkt sich auf aggressives Verhalten aus.

Dr. Grossman erklärt, warum wir immun gegen Gewaltbilder werden können und daher unfähig, sozial angemessen zu reagieren:

Um jemand so weit zu bringen, dass er laufend etwas eigentlich Abstoßendes tut, muss man es mit Spaß verbinden. Das nennt man klassische Konditionierung. Tag für Tag schauen Kinder jeden Alters und in allen möglichen Entwicklungsstufen ihres Gehirns und ihrer Persönlichkeit zum Spaß lebhafte Bilder leidender und sterbender Menschen und lernen, Horror gedanklich mit ihrem Lieblingsgetränk, Bonbons, dem Parfüm der Freundin, Geburtstagspartys oder Aufmunterung im Krankenbett zu verbinden.

Die virtuelle Explosion von »Blutbad-realistischen « Fernsehfilmen und ultrabrutalen Videospielen in einer Mischung von Gewalt, Trauma Schockerlebnis, Erotik und Profanität Gewöhnlichkeit schafft eine Kultur gefährlich abgestumpfter und süchtiger Kinder, Jugendlicher und Erwachsener. 30 Jahre Forschung haben bestätigt, dass wir die süchtig machende und das Denken prägende Macht der Medien über das sich entwickelnde und das erwachsene Gehirn neu bewerten müssen. Die hirnformenden Effekte sind so verblüffend, dass gemäß einer neuen 15-Jahres-Studie der Konsum medialer Gewalt bei Kindern aggressives Verhalten im jungen Erwachsenenalter erwarten lässt.

Fernsehen und Gesundheit

Doch die Auswirkungen des Fernsehens sind bei weitem nicht nur mental. Fernsehkonsum steht in Verbindung mit Fettleibigkeit bei Jung und Alt. Zahlreiche Studien sind zu dem Schluss gekommen, dass eine direkte Beziehung zwischen Fernsehdauer und Übergewicht existiert. Fernsehzuschauer haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Herzleiden, aus mehreren Gründen. Kindern und Erwachsenen, die länger vor dem Fernseher sitzen, bleibt weniger Zeit für körperliche Betätigung. Sie neigen auch eher dazu, den vielen Werbespots für ungesunde, zucker- und fettreiche Knabbereien und Getränke zu folgen. Laut Andrew Prentice, Professor für internationale Ernährung an der Londoner Schule für Hygiene und Tropenmedizin, muss eine inaktive Person ihren Appetit bewusst beherrschen (normalerweise geschieht das eher »instinktiv«). Je weniger Bewegung also jemand hat, desto herausfordernder wird diese Aufgabe.

Es gibt noch einen anderen, überraschenden Faktor. Der Grundumsatz des Stoffwechsels (die Energie, die unser Körper im Ruhezustand verbraucht) scheint beim Fernsehen noch weiter abzusinken, d. h., überschüssige Kalorien werden noch schneller in Fett umgewandelt. Eine Studie von 15 fettleibigen und 16 normalgewichtigen Kindern kam zu dem Ergebnis, dass Fernsehen die Stoffwechselrate deutlich senkt, was der Grund für die Verbindung zwischen Übergewicht und Fernsehkonsum sein könnte. R. Klesges u. a., »Effects of television on metabolic rate«, Pediatrics, Feb 1993:91(2), 281ff.

Hier wären weitere Untersuchungen zur Bestätigung nötig.

Überreizung durch Fernsehen verursacht die Ausschüttung größerer Mengen von Stresshormonen in den Organismus, was dem Gehirn nicht gut tut, besonders dem empfindlichen Gedächtniszentrum namens Hippokampus. Während mangelnde geistige Anregung offenbar zu erhöhter Demenz führt, vermutet man andererseits, dass Schädigungen durch zu viel Fernsehstress eine Rolle bei Gedächtnisverlust spielen.

Gewalt im Fernsehen überlastet das Herz durch vermehrte Stresshormon- Produktion – dieselben Hormone, die im Übermaß das Gedächtnis schädigen können. Die gleiche Überreizung des Stresssystems durch gewalttätige Sendungen wird auch mit erhöhter Schwere und Häufigkeit von Asthma sowie höherer Anfälligkeit für Krankheiten in Verbindung gebracht.

Zuletzt haben Kinder mit hohem TVKonsum ein größeres Risiko, sich selbst durch Unfälle zu verletzen, als andere, die gelegentlich oder gar nicht fernsehen. Man vermutet, dass die Darstellung verzerrter Realität auf dem Bildschirm bewirkt, dass Kinder eher gefährliche Stunts nachmachen und gleichzeitig weniger in der Lage sind, mit Stresssituationen umzugehen.

Alternativen zum Fernsehen

Einer der besten Wege, Fernsehsucht zu überwinden, ist sich klarzumachen, dass ein Leben als Zuschauer leidvoller und ärmlicher ist, als sich sinnvoll zu engagieren, selbst wenn man dabei Enttäuschungen riskiert. Die Fernsehketten im Kopf können gesprengt werden, die Freuden des wirklichen Lebens können die leere Schaumschlägerei einer Fantasiewelt verdrängen.

Es gibt eine große Bandbreite erfüllender Aktivitäten, die echtes Glück und bleibende Freude mit sich bringen. Vergnügen schöpft aus vielen Quellen: sich intellektuell weiterbilden, positive Beziehungen pflegen, Fähigkeiten und Gaben entwickeln, Kreativität, Verantwortung, geistige und körperliche Gesundheit, die Freude des Entdeckens. Solche Beschäftigungen werden uns nicht »aussaugen«, sondern geistig und körperlich bereichern, und wir erleben die Freiheit, für die der Mensch eigentlich gedacht ist.

Gott hat uns geschaffen, um das Leben zu genießen, Freude zu erleben, Beziehungen aufzubauen und unsere geistigen Fähigkeiten höher zu entwickeln als jedes andere Geschöpf. Wahres Vergnügen, Glück, Erfolg und Ausgeglichenheit sind möglich! Wir können lernen, das Leben zu meistern, den Alltag freudig zu bestreiten, neue Erfolge zu erreichen und erfüllende Gemeinschaft mit anderen zu pflegen – nicht über die Satellitenschüssel, sondern durch aktives Lernen und lebendige Beziehungen.

Vicki Griffin, „Die Seelenplünderer“, Standpunkte (Ausg. 20, 2012), S. 13-23