Die Entstehung der kirchlichen Sonntagsfeier

Wird eine alte Frage wieder aktuell?

Wir leben in einem freien Europa. Warum können Ladenbesitzer ihre Geschäfte nicht öffnen, wann immer sie wollen? In den USA geht das doch auch!“ Das sind Aussagen, die man nicht nur an Stammtischen hört. Die Antwort mag nicht alle befriedigen: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ So heißt es nämlich in Artikel 139 des deutschen Grundgesetzes. Ladenbesitzer – und nicht nur sie – haben im Laufe der Zeit immer wieder versucht, die Sonntagsruhe auszuhöhlen. Entsprechend entstanden auf Länderebene liberale Ladenöffnungsgesetze – so etwa im Jahr 2006 in Berlin. Dieses Gesetz hatte jedoch nicht lange Bestand: Schon am 1. Dezember 2009 wurde es vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Dennoch: Der Druck auf die Politik und die Gerichtsbarkeit des Landes vonseiten der Industrie, des Handels und nicht zuletzt einer kauffreudigen säkularen Bevölkerung, die auch am Sonntag shoppen möchte, ist weiterhin groß.

Die Shopping Malls sind die Kathedralen der Moderne. In den USA sind sie sieben Tage in der Woche geöffnet. Werden auch bei uns die Ladenöffnungszeiten weiter liberalisiert, oder wird es in Zukunft ein strengeres Sonntagsgesetz geben?

Doch nun gibt es eine Gegenbewegung: Am 20. Juni 2011 schlossen sich 65 gesellschaftliche Einrichtungen auf europäischer Ebene zusammen und gründeten in Brüssel die „Europäische Sonntags-Allianz“ – unter ihnen Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbände. Unterstützt wird die Initiative auch von einigen EU-Parlamentariern. Man will „den Sonntag als arbeitsfreien Tag in der EU-Arbeitszeitrichtlinie … verankern.“ Auch wenn eher soziale Aspekte wie der Schutz der Familie („Am Sonntag gehört Vati uns“) im Vordergrund stehen: Die Kirchen unterstützen das Vorhaben besonders stark. In seinem apostolischen Schreiben Dies Domini betonte Papst Johannes Paul II. schon 1998 die Heiligkeit des Sonntags. Auch Papst Benedikt XVI. betonte am 13. Mai 2007: „Wir müssen die Christen dazu motivieren, dass sie aktiv und, wenn möglich, am besten mit der Familie an … [der Hl. Messe] teilnehmen.“

In einer Gesellschaft, die dazu neigt, alles in Frage zu stellen – und das betrifft ganz besonders kirchliche Traditionen –, scheint es angebracht, nach den Wurzeln der Sonntagsfeier zu fragen. Immerhin könnte man sich ja auch darauf einigen, den Dienstag oder den Donnerstag per Gesetz als „arbeitsfreie Zone“ zu erklären. Warum soll es also gerade der Sonntag sein?

Um die Wurzeln dieser kirchlichen Tradition zu ergründen, müssen wir zur Schöpfung zurückkehren. Zwar ist der Ursprung der Woche als Zeiteinheit in der außerbiblischen Forschung ungeklärt, doch nach biblischer Sicht geht die Wocheneinteilung und damit der wöchentliche Feiertag auf die Schöpfung zurück. Im ersten Buch der Bibel heißt es: „So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.“ (1. Mose 2,1-3) Diese Schöpfungstat ist dann auch die Grundlage für das vierte der Zehn Gebote (biblische Zählweise), das Gebot des Ruhetages. Der siebte Tag der Woche, der Sabbat, unser heutiger Samstag, erhielt als Gedenktag den besonderen Segen Gottes. Die Sieben-Tage-Woche ist nicht nur tief im Judentum, sondern auch im Christentum und sogar im Islam verankert.

Die ersten Christen waren allesamt Juden. Für sie war das, was wir als Altes Testament bezeichnen, heilige Schrift – und das ist, zumindest theoretisch, bis heute so. Auch nach Jesu Tod und Auferstehung hielten die ersten Christen an der jüdischchristlichen Feiertagspraxis fest. Der Sabbat der Zehn Gebote hatte schon im Leben Jesu, bei den Aposteln und bei den ersten Christen eine so selbstverständliche Rolle gespielt, dass eine eventuelle Veränderung der Feiertagspraxis überhaupt nicht zur Diskussion stand. Deshalb gibt es auch keine Streitgespräche diesbezüglich in den Schriften des Neuen Testaments – auch nicht, als mehr und mehr Christen aus dem sogenannten Heidentum kamen. Man stritt über die Beschneidung, nicht aber über den Sabbat. Immerhin waren die Zehn Gebote einschließlich des Sabbats von Gott mit dem eigenen Finger geschrieben worden. Das hatte Gewicht. Und es stellte auch niemand die anderen neun Gebote in Frage. Jesus hatte zwar Korrekturen an einer falsch verstandenen jüdischen Form der Sabbatruhe geübt, nicht aber das Sabbatgebot selbst geändert oder eine spätere Veränderung angekündigt.

In der Apostelgeschichte ist aufgezeichnet, wie das Evangelium langsam von Jerusalem aus in die ganze damalige Welt getragen wurde. Bald finden wir christliche Gemeinden, die nur noch aus dem Heidentum kamen. Sie alle feierten den Samstag als Ruhetag. Doch irgendwann in den ersten Jahrhunderten änderte sich dies. Der Sonntag wurde allmählich eingeführt – erst zusätzlich zum Sabbat, dann anstelle des Sabbats. Wie kam es dazu?

Auch wenn die auf europäischer Ebene angestrebten Sonntagsgesetze eher sozial und arbeitsmedizinisch motiviert sind: Besonders Papst Benedikt XVI. möchte, dass die Kirchen am Sonntag wieder gefüllt sind.

Schon vor der christlichen Zeitrechnung gab es in der griechischen und in der römischen Welt eine Woche mit sieben Tagen. Die Tage wurden nach Planeten benannt. Dabei gab es einen deutlichen Bezug zur Astrologie. Die Wurzeln dieser Tradition liegen wahrscheinlich in Babylon. Mit Gewissheit können wir jedoch sagen: Die Bezeichnung für die Wochentage wurde im Jahre 27 v. Chr., dem ersten Regierungsjahr des Kaisers Augustus, offiziell in Rom eingeführt. Die Namen der Wochentage waren: Saturni dies (beherrscht von Saturn, vgl. Saturday im Englischen; Sonnabend; in Rom der erste Tag der Woche), Solis dies (beherrscht von der Sonne, Sonntag, zweiter Wochentag), Lunae dies (beherrscht vom Mond, Montag), Martis dies (beherrscht vom Mars, Dienstag), Mercurii dies (beherrscht von Merkur, Mittwoch), Jovis dies (beherrscht von Jupiter, Donnerstag) und Veneris dies (beherrscht von Venus, Freitag).

In der deutschen Sprache tauchen die Namen dieser Planeten bei den ersten drei Wochentagen wieder auf. Der in weiten Teilen Deutschlands gebräuchliche Begriff „Sonnabend“ bezeichnete ursprünglich den Abend vor dem Sonntag. Im frühen Mittelalter breitete sich dieser Name dann für den ganzen Tag aus, also nicht nur für den Abend. In der Schweiz, in Österreich und in Süddeutschland ist eher der Begriff „Samstag“ üblich. Dieses Wort, ursprünglich „Sambasttag“, geht auf das hebräische Wort „Schabbat“ oder „Sabbat“ zurück. In den lateinisch geprägten Sprachen kann man noch den „Sabbat“ erkennen, etwa im Italienischen (il sabato) oder im Spanischen (el sábado), während im Englischen der Saturn (Saturday) durchscheint.

Der Feiertag geht zurück auf die Schöpfungswoche und den Garten Eden. Nach seinem sechstägigen Schöpfungswerk ruhte Gott am siebten Tag. Damit reicht der Sabbat (Samstag) in vorjüdische Zeit zurück.

Die Namen für die beiden letzten Tage unserer Woche gehen auf germanische bzw. nordische Götter zurück: Donnerstag – abgeleitet von dem Donnergott Donar oder Thor, Freitag – abgeleitet von der Ehefrau des nordischen Gottes Odin, der Göttin Frigg oder Frija (sie galt als Schutzpatronin von Ehe und Mutterschaft). Und was ist mit Dienstag und Mittwoch? Dienstag hat nichts mit „dienen“ zu tun. Auch dieser Name geht über verschiedene Entwicklungen auf den nordischen bzw. germanischen Gott Tyr zurück und damit auch auf Mars Thingsus, den Beschützer des Things.

Interessant ist die Bezeichnung „Mittwoch“. Es ist offensichtlich, dass der Mittwoch die Mitte der Woche markiert. So wissen wir, wann die Woche – zumindest nach ursprünglicher, d.h. jüdisch-christlicher Zählweise – anfängt und wann sie aufhört. Übrigens: Auch das Isländische und die meisten slawischen Sprachen benutzen einen ähnlichen Ausdruck, um die Mitte der Woche zu markieren.

Die 1975 von der ISO (International Organization of Standardization) empfohlene und seit Januar 1976 in vielen Ländern vorgenommene Änderung der Wocheneinteilung (in den USA, dem Sitz der ISO, blieb die Zählung übrigens unverändert) hat zumindest im deutschen Sprachraum eine gewisse Verwirrung geschaffen. Nach der neuen Zählweise fängt die Woche nämlich, wie wir wissen, am Montag an, und sie endet mit dem Sonntag. Das hat die Kommunikation mit Juden und Arabern nicht leichter gemacht, denn sie bezeichnen die Wochentage lediglich mit Zahlen. Und für sie ist der Sonntag nach wie vor Tag Nr. 1 und der Samstag Tag Nr. 7.

Doch zurück zur christlichen Tradition, und das heißt: Zurück zum Römischen Reich. Was führte nun dazu, dass der Tag des Saturns als Bezeichnung des ersten Tages der Woche vom Tag der Sonne, dem zweiten Tag der Woche verdrängt wurde? Viele Historiker sind sich darin einig, dass diese Verdrängung mit der Ausbreitung des Sonnenkults irgendwann vor Beginn des 2. nachchristlichen Jahrhunderts zusammenhängt. Der Mithras- Kult, bei dem es um die Anbetung des Sonnengottes Mithras ging, war durch Soldaten aus dem Osten mitgebracht worden. So breitete sich dieser im Römischen Reich aus. Während des 1. bis 4. Jahrhunderts hatte dieser Mysterien-Kult sein Epizentrum in Rom. Neuere Forschungen belegen, dass die Verehrung des Sonnengottes tatsächlich auch am Tag der Sonne, also am Sonntag, stattfand. Der Mithras-Kult übte ab dem 2. Jahrhundert offenbar eine Strahlkraft auch auf die junge christliche Kirche aus.

Die Beliebtheit des Mithras- oder Sonnenkults geht auf die Bedeutung der Sonne als Licht- und Lebensspender zurück.

Im 2. nachchristlichen Jahrhundert entwickelte sich die sogenannte Alexandrinische Schule. Zu ihren prominentesten Vertretern gehörten Clemens von Alexandrien (~ 150- ~ 215) und Origenes (185-253/54). Sie verwendeten die allegorische Methode, um den griechischen Intellektuellen das Christentum zu erklären. Dadurch kam es zu einer Vermischung von griechischer Philosophie und christlichem Gedankengut. Aus Alexandrien stammt aller Wahrscheinlichkeit nach auch die erste überlieferte Aussage, wonach die Christen nicht den Sabbat feiern sollten, sondern den ersten Tag der Woche. Das in etwa stand in einem Traktat des Barnabas, das zwischen 135 und 150 n. Chr. geschrieben wurde. Es ist ganz und gar durchsäuert mit der allegorischen Auslegungsmethode, aber auch klaren antijüdischen Tendenzen. So heißt es dort beispielsweise über den Schöpfungsbericht: „Das heißt, dass in sechstausend Jahren der Herr alles vollenden wird; denn der Tag bedeutet bei ihm tausend Jahre. Er selbst bezeugt mir das, wenn er sagt: Siehe, ein Tag des Herrn wird sein wie tausend Jahre. Also Kinder, in sechs Tagen, in sechstausend Jahren wird alles vollendet sein. Und am siebten Tage ruhte er. Das heißt: Wenn sein Sohn kommt und der Zeit des Bösen ein Ende machen und die Gottlosen richten und die Sonne, den Mond und die Sterne umändern wird, dann wird er ruhmvoll ruhen am siebten Tage.“ Angesichts dieser Argumentation wurde der Sabbatfeier die ursprüngliche Begründung entzogen.

Seit 1975 beginnt der Wochenkalender bei uns nach ISO mit dem Montag. Eigentlich – und so war es bis dahin – beginnt die Woche mit dem Sonntag, dem ersten Tag der Woche. Daran erinnert noch der Mittwoch, der sonst nicht in der Mitte der Woche läge.

Ein weiterer Faktor, der die frühen Christen dazu bewog, ihren Feiertag vom Sabbat auf den Sonntag zu verlegen, waren zweifellos antijüdische Tendenzen. Die zunächst noch kleine Gruppe von Christen wurde vom römischen Staat und seiner Gesellschaft anfangs als jüdische Sekte betrachtet – ein Umstand, der sich bei den immer wieder auftretenden Pogromen oder Judenverfolgungen als ein deutlicher Nachteil erwies. Außerdem – so das Argument mancher Christen – waren die Juden verantwortlich für die Ermordung ihres Herrn. Da nun der Sabbat eines der sichtbarsten Kennzeichen der Juden war, scheint hier ein Motiv für die Abgrenzung von den Juden gelegen zu haben. Entsprechende Tendenzen sind auch in den Schriften der römischen Gelehrten des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, von Seneca bis Tacitus, zu sehen. In ihnen machten sich die Autoren besonders über die Sabbathaltung und die Beschneidung lustig.

Auch christliche Autoren – etwa Justin der Märtyrer († um 165) – übten sich in Antisemitismus. In seinem Dialog mit dem Juden Trypho sieht man deutliche anti-jüdische Tendenzen sowie die ersten Hinweise auf eine Sonntagsfeier.

Der Hass der römischen Kaiser und der Bevölkerung des Reiches entzündete sich offenbar auch an einer Reihe jüdischer Aufstände. Einer von ihnen endete bekanntlich mit der Zerstörung Jerusalems. Ein anderer war der Bar-Kochba-Aufstand (132-135). Es war Kaiser Hadrian (regierte 117-138), der nach der Niederwerfung dieses Aufstandes rigorose Gesetze gegen die Juden und deren Sabbatheiligung verhängte. Schon allein deshalb schien es für die Christen opportun, sich von den Juden abzuheben. Ein Wechsel des Feiertags schien hier eine willkommene Demonstration zu sein. Man muss bedenken, dass die Christen bis zur Vereinbarung von Mailand im Jahr 313 einer nicht erlaubten Religion angehörten.

Auch das Osterfest, die Auferstehungsfeier, spielte eine Rolle bei der allmählichen Einführung einer kirchlichen Sonntagsfeier. Irgendwann im zweiten Jahrhundert hat man nämlich das jährliche Osterfest, das normalerweise an einem bestimmten Datum im Jahr – dem 14. Nisan – gefeiert wurde, in Rom und Alexandrien auf einen Sonntag verlegt. Immerhin war Jesus am ersten Tag der Woche auferstanden. Diese Praxis wurde später auf den wöchentlichen Sonntag ausgeweitet. Dazu gibt es zwei Stimmen, die eine aus dem 2. und die andere aus dem 4. Jahrhundert. Origenes (185-254) verbindet die jährliche Feier der Auferstehung mit der wöchentlichen Sonntagsfeier, ebenso Eusebius von Caesarea (260/64-339/40).

Letzterer schreibt: Während „die Juden, dem Moses getreu, das Passah-Lamm einmal im Jahr schlachteten, feiern wir Männer des Neuen Bundes jeden Sonntag Passah.“ Dies bedeutete jedoch nicht, dass man überall den Sabbat als Ruhetag aufgab. Denn das wöchentliche „Passahmahl“ bestand hauptsächlich in der Feier des Abendmahls, entweder früh am Morgen oder spät am Abend. Ansonsten war der Sonntag zunächst ein gewöhnlicher Arbeitstag.

Nach wiederholten jüdischen Aufständen und Kriegen – u. a. in Jerusalem (70 n. Chr.) und Masada (73 n. Chr., Foto) – gab es eine antijüdische Stimmung im römischen Reich.

Marcion (~ 85-160) aus Sinope in Kleinasien, der die Kirche eigentlich reformieren wollte und dazu im Jahr 160 nach Rom gekommen war, übernahm dennoch manche spekulativen Gedanken der Gnostiker und der Alexandrinischen Schule. So lehnte auch er das Alte Testament und damit den Gott des Alten Testaments strikt ab. Er wollte das Christentum radikal von jeglichen Gedanken des Judentums reinigen. Jahwe des Alten Testaments sei nicht der Gott, von dem Jesus sprach. Da jedoch die Schöpfung und der Sabbat einen engen Bezug zum Alten Testament und dem hier handelnden Gott haben, scheint auch er einen Wandel in der Feiertagsfrage zumindest begünstigt zu haben. Trotz einer offiziellen Verurteilung und Exkommunion Marcions hinterließ dieser einen nicht unerheblichen Einfluss in weiten Teilen der Kirche.

Zwischen dem 2. und 6. Jahrhundert gibt es in der Kirche Belege sowohl für die Sabbat- wie auch die Sonntagsfeier. Im Brief des Barnabas (~ 135 - vor 150) haben wir einen der frühesten Belege für die Sonntagsfeier. Doch selbst aus Alexandrien und Rom, wo es die deutlichsten Spuren einer frühen wöchentlichen Feier des Abendmahls am Sonntag gibt, haben wir auch Belege für eine christliche Sabbatfeier. So lehnte Origenes von Alexandrien (185-254) zwar die jüdische Art der Sabbatfeier ab, befürwortete jedoch eine Form der Sabbatheiligung, die von christlicher Freiheit geprägt war. Das gleiche können wir von Hippolyt von Rom (um 170-235) sagen.

Schon unter den frühen Christen der nachapostolischen Zeit gab es antisemitische Tendenzen.

Selbst jene Kirchenväter, die antijüdische Tendenzen offenbarten, bezeugen an mehreren Stellen, dass es zu ihrer Zeit noch Christen gab, die an der Sabbatfeier festhielten. Sogar nach der offiziellen staatlichen Einführung der Sonntagsfeier per Gesetz durch Kaiser Konstantin gibt es klare Belege für die Feier des Sabbats durch Christen. In den Apostolischen Konstitutionen aus dem 4. Jahrhundert, einer Art Sammlung von Kirchenordnungen, finden wir ein modern anmutendes Gesetz, das die Fünf- Tage-Woche für Sklaven vorsieht. Sie sollten sowohl am Sabbat, dem Gedenktag der Schöpfung, wie auch am Sonntag, dem Gedenktag der Auferstehung, ruhen können. Andere, etwa Gregor von Nyssa (~ 335/40 - nach 394), sprechen von Sabbat und Sonntag als Schwestern, die gleich geehrt werden sollen. Auch die Kirchenhistoriker Socrates Scholasticus (um 380 - ?) und Sozomenos (~ 400-450) bezeugen, dass man überall das Abendmahl sowohl am Sabbat wie auch am Sonntag feierte – nur nicht in Alexandrien und Rom. Im übrigen Ägypten – also außerhalb von Alexandrien – in Äthiopien und in der keltischen Kirche wurde der christliche Sabbat über Jahrhunderte gefeiert – in Äthiopien sogar bis zum 16. Jahrhundert.

Kaiser Konstantin führte 321 den Sonntag als gesetzlichen Feiertag ein.

Die Vorherrschaft des Sonntags über den Sabbat erhielt durch die Gesetzgebung Kaiser Konstantins (zwischen 270 u. 288-337) einen gewaltigen Schub. Man kann sagen, dass die Feier des Sabbats mit den Sonntagsgesetzen Konstantins (321) und späterer Kaiser durch den Sonntag allmählich verdrängt wurde. Bei diesem Sonntagsgesetz handelte es sich jedoch nicht um ein kirchliches, sondern ein rein ziviles Gesetz. In ihm hieß es: „Alle Richter und Einwohner der Städte, auch die Arbeiter aller Künste, sollen am ehrwürdigen Tag der Sonne ruhen.“ Die Landbevölkerung, so sagt der Text, sei von diesem Sonntagsgesetz ausgeschlossen. Unter den folgenden Kaisern wurde es jedoch auch auf sie ausgeweitet.

In dem konstantinischen Gesetz gibt es keinerlei christlichen Bezug. Es geht hier nicht um den Tag des Herrn, sondern um den „ehrwürdigen Tag der Sonne.“ Auch wird das biblische Sabbatgebot nicht erwähnt. Interessanterweise hat die katholische Kirche aber in späteren Jahren immer wieder die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag als Beweis für die Autorität des Papsttums angeführt. Diese sei so groß, dass der Papst sogar das göttliche Gesetz verändern könne – ein Anspruch, der von Protestanten, aber auch einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Katholiken, zumindest vom Prinzip her, bestritten wird.

Warum hat Konstantin dieses Gesetz erlassen, wenn die Inspiration hierfür nicht aus dem Christentum kam? Wie erwähnt, hatte der Sonnenkult damals seine Blütezeit. Als Pontifex Maximus war der Kaiser auch verantwortlich für die Religionen. Eine Frage, die er sich beim Zusammenhalt seines Vielvölkerstaates immer wieder stellen musste, war: „Wie kann ich den Staat mit Hilfe der Religionen einen?“ Die Herausforderung bestand darin, das Heidentum mit seiner Sonnenanbetung mit dem sich immer stärker ausbreitenden Christentum zu verschmelzen. Für Konstantin war es ein genialer Schachzug, beide großen religiösen Gruppen auf einen gemeinsamen Tag festzulegen. Viele Christen waren damals schon daran gewöhnt, am ersten Tag der Woche, dem Sonntag oder Sonnentag, das Abendmahl zu feiern. Jetzt konnten sie auch an diesem Tag noch von ihrer Arbeit ruhen und ungestört in die Kirche gehen. Gleichzeitig konnten die vielen Mithras-Anbeter diesen Tag für ihre Anbetung nutzen und ebenfalls an diesem Tag frei haben.

Die konsequenteren unter den Christen, die bis dahin gemäß den Zehn Geboten den Sabbat als Ruhetag gefeiert hatten, kamen jetzt in Schwierigkeiten. Ihre einzige Chance war, dass ihr Arbeitgeber sie an zwei Tagen ausruhen ließ oder – wenn sie selbständig waren – dass sie an zwei Tagen ihr Geschäft schlossen.

Zurück zur Gegenwart: Sollte die europäische Allianz für einen freien Sonntag erfolgreich sein, könnten manche Christen in eine ähnliche Notlage geraten. Das trifft besonders dann zu, wenn unter dem Druck einer wirtschaftlichen Krise die Fünf-Tage-Arbeitswoche möglicherweise wieder in eine Sechs-Tage-Woche zurückverwandelt wird. Zu den Christen, die heute noch (bzw. wieder) den christlichen Sabbat (Samstag) feiern, gehören vor allem die Siebenten- Tags-Adventisten (weltweit ca. 18 Millionen Mitglieder) und die Siebenten-Tags-Baptisten (50.000 Mitglieder).

Doch auch in anderen Kirchen scheint der Sabbat wieder entdeckt zu werden. So gibt es in Schweden Initiativen von Christen, die dazu übergegangen sind, den Sabbat zu feiern. Kleine Gruppen, unabhängig von ihrer kirchlichen Bindung, treffen sich jeden Freitagabend. Sie essen zusammen, lesen die Bibel und beten. Das Gleiche tun sie am Samstag. Alle unnötige Arbeit wird auf einen anderen Tag gelegt, um als Familie den Sabbat feiern zu können. Die Personen, die zu diesen Kreisen gehören, wissen, dass die Bibel diesen Tag als einen besonderen Tag ausgesondert hat und dass es die christliche Kirche war, die in den ersten Jahrhunderten den Sonntag ohne göttliche oder biblische Legitimation einführte. Diese christlichen Initiativen sind nicht zentral gesteuert; sie haben auch keine Führungsstruktur. Sie entstehen spontan.

Angesichts der Veränderung des christlichen Feiertags im Laufe der Geschichte sollte sich jeder Christ fragen: „Was ist die Grundlage für die Wahl meines Feiertags: Gott und seine Gebote oder die Kirche und ihre Tradition?“ Und: „Soll sich der Staat in den Glauben seiner Bürger einmischen?“ Als Christen geht es uns bei der Gottesdienstfeier um die Anbetung unseres Schöpfers. Die Frage drängt sich auf: „Beten wir noch unseren Schöpfer an, wenn wir einen anderen Tag wählen als den, den er uns gegeben hat, den er in besonderer Weise gesegnet hat?“ Sabbat oder Sonntag? Eine zeitaktuelle Frage. Wie wird Europa sie beantworten? Wie wird jeder Einzelne von uns sie beantworten?

Richard Müller, „Die Veränderung des christlichen Feiertags vom Sabbat zum Sonntag“, Info Vero (Ausg. 1, Nov. 2011), S. 50-59