Moderner Ablass und der Reformationstag 2022

Vor wenigen Tagen jährte sich eines der bedeutendsten Ereignisse, die unserem Globus jemals widerfahren sind, zum 505. Mal: Der Reformationstag. Am 31. Oktober 1517 schlug der Mönch Martin Luther die 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg und löste damit das Ereignis aus, welches den Lauf der Welt entscheidend änderte: Die Reformation. Während bis zu dieser Zeit, das ganze Mittelalter hindurch, die katholische Kirche die dominierende Religion des Abendlandes war, entstand nun ihr Widerpart: Der Protestantismus, der sich innerhalb kürzester Zeit in die entlegensten Gebiete der Welt ausbreitete. Traditionell ist deshalb der 31. Oktober in den protestantisch geprägten deutschen Bundesländern ein Feiertag: Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Wittenberg, Wiege der Reformation, lockte in diesem Jahr „mit Gottesdiensten, Konzerten, Führungen und einem historischen Marktspektakel mit mehr als 80 Ständen. ‚Wir haben locker die Besucherzahl von 25 000 geknackt, die Stadt ist brechend voll‘, sagte Madlen Züchner, Geschäftsführerin der städtischen Marketing GmbH, der Deutschen Presse-Agentur. ‚Die Massen schieben sich durch die Straßen. Alles ist absolut gelungen.‘“ So berichtet der STERN am Abend des Reformationstages und setzt fort: „Ein Höhepunkt des Festes waren nach Angaben der Stadt in diesem Jahr die ‚Wittenberger Klangthesen‘. Für die Kunstinstallation haben Bürger jeweils eine These Luthers eingesprochen. Sie wurden per Lautsprecher auf dem Gelände des Bunkerberges abgespielt, was symbolisch für die Verbreitung der 95 Thesen auf der Welt stehen soll.“

Schön ist, dass neben all dem Spektakel mit Musik und Marktgeschrei auch den 95 Thesen eine Stimme verliehen wurde. Ihr damaliger Anschlag führte dazu, dass Luther drei Jahre nach der Veröffentlichung wegen seiner fortwährenden Kritik an der katholischen Kirche exkommuniziert wurde. Die 95 Thesen, auch als explosivster Aushang der Weltgeschichte bezeichnet, widmen sich den Themen Buße und Schuld (Thesen 1 bis 7), Tod und Fegefeuer (Thesen 8 bis 19) und natürlich dem Thema Ablass und Ablasshandel in all seinen Facetten (Thesen 20 bis 80). Die Thesen 81 bis 95 stellen schließlich kritische Fragen an den selbsternannten Stellvertreter Gottes, den Papst. Vier exemplarisch herausgegriffene Thesen machen ihre fortwährende Aktualität deutlich:

  • „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße‘ usw. (Mt. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“ (These 1)
  • „Jeder Christ, der wirklich bereut, hat Anspruch auf völligen Erlass von Strafe und Schuld, auch ohne Ablassbrief.“ (These 36)
  • „Man soll die Christen lehren: Dem Armen zu geben und dem Bedürftigen zu leihen ist besser, als Ablass zu kaufen.“ (These 43)
  • „Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ (These 62)

Wahre Buße, wirkliche Vergebung, echte Reue, barmherziges Handeln an Notleidenden und die Frohe Botschaft von Gottes Erlösungshandeln sind auch heute Themen, die jeden Nachfolger Jesu bewegen sollten.

Die Tatsache, dass der Ablass selbst heute noch ein Thema innerhalb des katholischen Lehrsystems darstellt, wirft ein noch deutlicheres Schlaglicht auf die Aktualität der 95 Thesen. Neuere lehramtliche Äußerungen zum Ablass „finden sich im Katechismus der katholischen Kirche von 1993 und in der Bulle ‚incarnationis mysterium‘, die Papst Johannes Paul II. 1999 für das Heilige Jahr 2000 verfasst hat.“ So beschreibt es die katholische Wochenzeitung Tag des Herrn und fügt hinzu, dass der „vollkommene Ablass“ von einem Pilger beispielsweise im Heiligen Jahr erworben werden kann, „wenn er nach Beichte, Eucharistie und Gebeten eine der vorgeschriebenen Pilgerkirchen in Rom oder andere festgelegte Kirchen besucht.“

Auch die Welt widmete sich diesem Thema ausführlich: „Die Kirche betrachtet es jedenfalls als ihre Aufgabe, den Gläubigen bei der Verkürzung dieses Fegefeuers beizustehen. […] Lebende können ihre Schuld etwa mit Gebeten, Pilgerfahrten, Almosen und Askese abzutragen versuchen. Was sie bis zum Tod nicht wieder gut gemacht haben, müssen sie anschließend im Fegefeuer abgelten. Um diese ‚zeitlichen Strafen‘ für die Lebenden und die Toten zu verkürzen oder ganz zu erlassen, kann die Kirche Ablässe gewähren.“ Nach wie vor also plagt die katholische Kirche ihre Mitglieder mit der Angst vor dem Fegefeuer und bietet, aus dem angeblichen Schatz der Kirche, vorgebliche Gnadenmittel, um die Qual im Fegefeuer zu verkürzen. Die Welt bezieht sich dabei auf ein Interview von Kurienkardinal Mauro Piacenza mit Radio Vatikan, nachdem, obwohl die Vergebung schon geschafft sei, eine „zeitliche Strafe“, also eine Sühnehandlung zusätzlich fällig werde, weil die Folgen der Sünde noch in der Welt seien. Dies sei aber „nicht zwingend“, könnte die versäumte Sühnehandlung ja gerne mit ein paar zusätzlichen Jahren im Fegefeuer ebenfalls abgebüßt werden.

Kommen Menschen in Gewissensnöte und Bedrängnis, beispielsweise weil sie einen möglicherweise nahen Tod vor Augen haben, ist die katholische Kirche mit ihren Pseudognadenangeboten wieder voll in ihrem Element. Als Lösung für solcherart Nöte wird auch in heutiger Zeit der Ablass angeboten. Jüngstes Beispiel ist die Coronakrise, anlässlich welcher der Vatikan „den am Coronavirus erkrankten Gläubigen sowie den Mitarbeitern im Gesundheitswesen die Möglichkeit [bietet], einen vollkommenen Ablass zu gewinnen“, wie Vatican News am 20. März 2020 vermeldete. „Das Dekret des Kirchengerichts spricht von einem schwierigen Moment ‚in dem die gesamte Menschheit von einer unsichtbaren und heimtückischen Krankheit bedroht wird‘. Das bringe ‚qualvolle Ängste, Unsicherheiten und vor allem physisches und moralisches Leiden‘ mit sich. Niemals zuvor in ihrer Geschichte habe die Kirche so wie heute die Macht der ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ erfahren. Die Kirche flehe den Herrn an, ‚dass er die Menschheit von dieser Geißel befreie‘.“

Flehen wir statt dessen lieber darum, dass der Tag der Wiederkunft Jesu bald komme, an dem der Sohn Gottes versprochen hat, höchstselbst die Welt von der Geißel solchen Machtmissbrauchs wie des Ablasses zu befreien. Dies geschieht beim Endgericht, wie in Daniel 7 nachzulesen ist. Bis dahin tun wir gut daran, die Lehren der 95 Thesen Martin Luthers nicht zu vergessen, sondern zu beherzigen und umzusetzen. Daran soll der Reformationstag erinnern.

StpH, 07.11.2022, 23:00 Uhr


Kommentare auf dieser Website sollen für nachfolgende Besucher von Nutzen sein. Unsere ganz subjektiven Moderatoren mögen daher Beiträge, die zum Thema passen, kultiviert sind und Lesewert mitbringen.